3.3. Zur Spaltung von Auge und Blick
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Vom entwickelten Gesamtschema her lässt sich nun auch die Spaltung von Auge und Blick erläutern, die sich mit der Einsetzung eines Subjekts ins Feld des Sehens öffnet. Noch einmal zu Dürers Pförtchen: Die kleine vertikale Messlatte, die hier vor der Nase des Zeichners aufgestellt ist und deren Spitze den Geometralpunkt markiert, ist das wichtigste Detail des Bildes, das sich als Hinweis auf eine Spaltung interpretieren lässt. An diesem Punkt, von dem aus das image realisiert, sprich: berechnet werden kann, muss der Zeichner (s)ein Auge fixieren, damit dieses das Modell jenseits des Pförtchens »abtasten« kann. Sein Körper hingegen ist gezwungen stillzuhalten, um die Bildberechnung nicht zu irritieren. Die Unbeweglichkeit teilt der Zeichner mit dem Modell, denn auch dieses muss regungslos verharren, um das image nicht zu stören oder gar zu zerstören.
Beginnt dennoch eine der beiden Personen sich während der Bildrealisierung zu bewegen – was letztlich genauso unumgänglich ist wie die Tatsache, dass Modell und Zeichner in jedem Moment einer Bewegung in der Zeit unterliegen, d. h. altern –, dann entstehen Verzerrungen auf dem image, die von einer kleinen Unschärfe der Kontur über anamorphotische Flecken bis zur totalen Auflösung reichen können. Insofern hier aber von Flecken die Rede ist, bekommt man...