Auftritt
Naumburg: Erotik des Verrats
Theater Naumburg: „Judas“ von Lot Vekemans. Regie und Ausstattung Stefan Neugebauer
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Bye, Bye, Europe (02/2019)
Assoziationen: Theater Naumburg
Wer ist dieser junge Mann, der barfuß im Vortragssaal des Nietzsche-Dokumentationszentrums in Naumburg umherläuft, die sich setzenden Zuschauer ständig im unruhigen Blick? „Sind jetzt alle da, kommt noch jemand?“, ruft er immer wieder laut und heftig. Klingt wie der Kasper aus dem Puppentheater, steht aber so in Lot Vekemans’ „Judas“-Monolog. Es ist Judas, der verräterische Jünger Jesu, der sich uns endlich erklären will, vielleicht auch Nietzsche, der hier gleich neben dem historischen Haus von Mutter und Schwester umhergeistert. Frieden finden sie offenbar beide nicht.
Ist Judas ein Narziss, der nur um sich selbst kreist? Adrien Papritz, der junge Schauspieler aus Luxemburg, hat etwas von jener vordergründigen Gefälligkeit der Erscheinung, wie man sie sonst in televisionären Castingshows findet. Etwas zu glatt für zweitausend Jahre Verratsgeschichte. Oder ist es unser eigenes Vorurteil, dass wir enttäuscht sind, wenn wir keine Zerrüttung in der Gestalt dieses ersten Protagonisten des Verrats in der abendländischen Geschichte entdecken? Nicht wenigstens ein paar Falten oder graue Haare? Nein, dieser Inbegriff eines Verräters kommt daher wie aus dem Fitnessstudio. Vollkommen frisch und unbeschwert. Wiegt der Verrat so leicht?
Der Naumburger Intendant und Regisseur Stefan Neugebauer nimmt Lot Vekemans’ Ansatz auf, in Judas mehr als ein bloßes Werkzeug der Heilsgeschichte...