Edition X
Die Gaukler sind zurück
Frankreich im Kulturstreik
Erschienen in: Theater der Zeit: edition X – Aufstand in Frankreich (09/2003)
Assoziationen: Dossier: Tarife & Theater
„Das Ritual des sozialen Jahres sieht vor, dass man von den Streiks im Frühjahr zu den sommerlichen Festivals übergeht. Gerade diese Politik der Auslöschung des Sozialen durch das Kulturelle, das Festliche und das Spektakuläre hat die Bewegung der lntermittents dieses Jahr durchbrochen und mit ihr auch die Strategie der Demobilisierung, die im vergangenen Frühjahr noch so reibungslos funktionierte", schreibt Baudrillard anlässlich der denkwürdigen Streiks der französischen Künstler,die in diesen Sommermonaten 2003 fast alle Festivals Frankreichs lahm legten (Les suicides du spectacle, in: Liberation, 16. Juli 2003). „Ein Ereignis ist außerdem“, setzt Baudrillard fort, „dass die unnutze Fraktion, die Fraktion der Produktion unnutzer Zeichen, nicht die Eisenbahner oder Lehrer, dessen Akteure sind. Auch die ,Opfer' des Streiks sind andere: Es sind nicht mehr die Nutzer von Metro oder Bahn, sondern die Nutzer des überflüssigen und der immateriellen Konsumgüter. Und das schmerzt politisch gesehen weit mehr, denn es rührt an den Gesellschaftsvertrag und die symbolischen Bilder einer Gesellschaft.“ Dabei begrüßt der Kulturkritiker das Ereignis als eine Art Entziehungskur, die der aktuellen „Orgie“ des Kulturkonsums wie des künstlerischen Schaffens selbst eine – vielleicht sogar unfreiwillige – Pause einräume, indem sie sich sabotiere. Die Künstler liefen Amok gegen sich selbst als aktiven Teil der...