1. Die Prüfung der Besten
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Entscheidend ist nicht, was Authentizität wirklich ist, sondern wer den Begriff in welchem strategischen Sinn verwendete.
Sven Reichhardt,
Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren
(2014)
1. Die Prüfung der Besten
Wie wird man ‚man selbst‘?
Indem man in Beziehung zu sich tritt.
Dazu bedarf es Mittler von der Art der hypomnemata, jener kleinen Schreib- und Notizhefte, die zu Platons Zeiten zu Verwaltungszwecken aufkamen, von den Lese- und Schreibkundigen jedoch umgehend in den Dienst einer rationalen Lebensführung gestellt wurden. Man trug in diese Hefte bewahrenswerte Begebenheiten des Alltags ein und baute so, Schritt für Schritt, eine kontinuierliche und analytische Beziehung zum eigenen Selbst auf. Beobachtungen des Verhaltens seiner selbst und anderer, die man heute notierte, ließen sich mit früher aufgezeichneten vergleichen, gegebenenfalls an jenen Maximen messen, die man einst zum Vorsatz erhoben hatte. Nicht nur die bewusste Ethisierung des Verhaltens, die abendländische Frühblüte von Philosophie, Künsten und Wissenschaften besitzt hier einen gemeinsamen Ursprung. „Diese neue Technologie bewirkte einen vergleichbaren Einbruch wie heute das Eindringen des Computers in den Privatbereich.“1
Die Umfunktionierung eines Dispositivs der Macht (der Administration, der Registrierung und Einziehung von Abgaben etc.) in ein Dispositiv symbolischer Freiheit hielt die Individuen...