Gut 300 Personen dürfen sich in den Livestream des Schauspielhauses Bochum einwählen; die Vorstellung gilt dann als „ausverkauft“. Im Frühsommer, nach dem ersten Lockdown, wurde Johan Simons’ Elias-Canetti-Inszenierung „Die Befristeten“ bereits vor 50 maskierten Präsenz-Zuschauern gespielt, die sich nicht mit Zwei-, sondern eher mit 20-Meter-Abständen im Schauspielhaus verloren und einander wehmütig zuwinkten. In Canettis dramatischem Gedankenspiel aus den Fünfzigern geht es ums Sterben, genauer um die Frage, was wäre, wenn jeder Sterbliche die Stunde seines Todes bereits amtlich verbrieft hätte und sogar im Namen trüge: „Fünfzig“, „Achtundachtzig“, „Zehn“, das Alter, das jede und jeder erreicht, steht ihm und ihr sozusagen auf der Stirn, zusätzlich befindet es sich verschweißt in einer Kapsel, die man bei sich führt und auf keinen Fall verlieren darf.
Die Thematik des Stücks passt wie der Deckel auf den Topf der Pandemie, und doch ist Canettis Text eher bizarr als triftig zu nennen und wirkt ein wenig angestaubt, so sehr Simons’ Regie sich auch bemüht, etwa durch Cross-Gender-Besetzungen zeitgemäße Akzente zu setzen. Die einzuhaltenden Sicherheitsabstände werden anhand von Auftritten durch die Saaltüren zum prägenden Stilmittel des Abends. „Wir haben keine Angst, denn wir wissen, was uns bevorsteht“, tönen die Türsteher im Chor – und keiner glaubt’s, schon...