Theater der Zeit

Vorwort und Danksagungen

von Teresa Kovacs

Erschienen in: Recherchen 172: Theater der Leere – Heiner Müller, Elfriede Jelinek, Christoph Schlingensief und René Pollesch (12/2024)

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An einem regnerischen Tag im März 2018 fand ich Unterschlupf im Geffen Contemporary, einem der kleineren Standorte des Museums für zeitgenössische Kunst in Los Angeles. Zunächst war ich lediglich dankbar, endlich einen trockenen Raum betreten zu haben, nachdem ich stundenlang im strömenden Regen durch die Straßen von Downtown LA gelaufen war. Dieses unmittelbare Gefühl der Erleichterung wandelte sich jedoch schlagartig in einen viel stärkeren Eindruck, da ich mich inmitten von Adrián Villar Rojas’ Installation The Theater of Disappearance wiederfand. Eingetaucht in diese Installation vergaß ich, dass ich mich in einer der größten Metropolen der Welt befand, während mich die Installation paradoxerweise in genau jene Straßen zurückdrängte, aus denen ich zuvor zu fliehen versucht hatte: Sie erinnerte an die kleinen Läden und Restaurants von »Little Tokyo«, in dessen Nachbarschaft sich das Museum befindet – jedoch nicht in ihrer gegenwärtigen Form. Vielmehr hatte ich den Eindruck, einen Spaziergang durch die Ruinen einer lange vergangenen Großstadt zu machen.

Rojas’ Werk besteht aus zahlreichen Kühlgeräten, die voll von menschlichen Abfällen sind; alte Turnschuhe und Plastikdrähte, Nylonjacken, Glasflaschen und künstliche Gliedmaßen finden sich dort. Diese Objekte sind inmitten von Fleischatrappen, Fischknochen und getrockneten Blumen platziert, sodass jedes einzelne Kühlgerät eine Art Stillleben entstehen lässt, das Licht auf die conditio humana im 21. Jahrhundert wirft. Die Kühlschränke sind umgeben von Steinbrocken, Holzkisten mit menschlichen Skeletten und Säulen, die Schichten aus Stein und Glas offenlegen.

In dieser unheimlichen Landschaft kam mir eine Zeile von Heiner Müller in den Sinn: »Die Landschaft mag ein toter Stern sein, auf dem ein Suchtrupp aus einer andern Zeit oder aus einem andern Raum eine Stimme hört und einen Toten findet.«1 Unter dem Eindruck von Rojas’ Arbeit hatte ich das Gefühl, den Satz neu zu verstehen. Ich fühlte mich in diesem speziellen Raum wie eine Suchende aus einer anderen Zeit und wie eine Zeitgenossin des Leichnams; Leben und Tod flossen auf eigenartige Weise ineinander.

Diese Erfahrung brachte mich dazu, mich dem Theater von ­Heiner Müller zuzuwenden und nach den Ruinen und kontaminierten Landschaften Ausschau zu halten, die wir darin finden. So erkannte ich, dass das zeitgenössische Theater tief mit der Erfahrung der Zerstörung und des Ruinösen verwoben ist, da es erkundet, was es bedeutet, auf einem zerstörten Planeten zu leben. Das Ruinöse in diesem Theater ist nicht nur mit der Trauer über das Verlorene verbunden, sondern auch mit der Frage, wie man inmitten von Ruinen (über-)leben und ja, sogar gedeihen kann. Es ist in dieser Untersuchung weit mehr als nur eine Metapher. Vielmehr ist es mit einer Praxis verbunden, die auf die Möglichkeit einer Zukunft hinarbeitet und nach der gemeinsamen Gestaltung der Welt fragt; eine Praxis, die sich der komplexen Beziehungen zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem, Kultur und Natur, Leben und Tod bewusst ist.

Im Zuge der Arbeit an diesem Vorwort sind mir noch einmal Notizen in die Hände gefallen, die ich im Sommer 2019 gemacht habe, kurz, nachdem ich nach Bloomington übersiedelt bin, um meine neue Stelle an der Indiana University anzutreten:

Der Entwurf für dieses Buch entstand an einem heißen Septembermorgen, kurz nachdem ich in mein neues Zuhause, Bloomington, gezogen war. Dort erklärte mir jeder, dass dieser September ungewöhnlich heiß wäre. Dies seien, so fügten alle hinzu, klare Auswirkungen der globalen Erwärmung, die zum drängenden Thema unserer Zeit werden wird. Es war derselbe Tag, an dem die New York Times über die internationalen Klimastreiks berichtete. Die Berichterstattung nährte durchaus ein Verständnis unserer Gegenwart als apokalyptischen Raum, der sich bald in einen postapokalyptischen verwandeln könnte, wenn niemand etwas unternimmt.

Einige Jahre, eine globale Pandemie und zwei verheerende Kriege später hat sich dieser Eindruck einer Welt in Trümmern nicht zum Besseren verändert, sondern vielmehr verstärkt. Das Theater, dem ich dieses Buch widme und das sich damit beschäftigt, eine Zukunft in einer Zeit zu finden, in der es scheinbar keine Zukunft gibt, scheint daher noch aktueller zu sein als im Jahr 2019. Und doch ist es kein Buch, das sich darauf beschränkt, düstere Bilder unserer Gegenwart zu entwerfen; vielmehr zeichnet es die spannenden und manchmal überraschend spielerischen Wege nach, mit denen Theatermacher:innen experimentieren, um Leben und Zukunft in Ruinen zu finden.

Dieses Buchprojekt hat mich über mehrere Jahre beschäftigt und es wurde durch die Erfahrungen auf dem Weg und die Menschen, die mich auf dieser Reise begleitet haben, geprägt. Theater der Leere ist das Ergebnis meines fortwährenden Nachdenkens über das zeitgenössische Theater, das sich immer wieder jeglicher Beschreibung zu entziehen scheint. Über die letzten 15 Jahre habe ich wiederholt versucht, das theatrale Imaginäre unserer Gegenwart, das über das Drama und das repräsentative Theater hinausgeht, fassbar zu machen und zu benennen. Es hat mehrere Jahre und einige glückliche, oft unerwartete Begegnungen gebraucht, um Worte zu finden, mit denen ich beschreiben konnte, was ich anfangs nur geahnt hatte. So ein langwieriger, intensiver Denkprozess ist nur mit der nötigen Unterstützung möglich. Daher bin ich unendlich dankbar für die großzügige Förderung durch den Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), für den Presidential Arts & Humanities Award und Production Grant der Indiana University und IU’s College Arts and Humanities Institute (CAHI), die es mir erlaubt haben, mich über mehrere Jahre hinweg voll und ganz auf meine Forschung zu konzentrieren bzw. die die Produktion dieses Buches unterstützt haben.

Ein Buch wie dieses entsteht niemals in einem abgeschlossenen Kämmerchen, sondern es nährt sich aus all den inspirierenden Konstellationen, in denen ich mich während der Arbeit an diesem Buch wiedergefunden habe. Der erste Dank gilt meiner Heimatstätte, dem German Studies Department der Indiana University. Ohne die Unterstützung und das Vertrauen meiner Kolleg:innen wäre es mir nicht möglich gewesen, dieses Buch zu schreiben. Fritz Breithaupt, Michel Chaouli, Irit Dekel, Susanne Even, Gergana May, Bill Rasch, Benjamin Robinson, Johannes Türk und Marc Weiner haben alle auf ihre Weise dieses Projekt inspiriert und beeinflusst – sei es, indem sie sich mit mir durch wichtige Fragen gearbeitet haben; sei es durch ihre Liebe zu Worten und Ideen und ihre Hingabe zum kritischen Denken. Das intellektuelle Leben, das wir an diesem Department kultiviert haben, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle für das Buch, bietet es doch Gelegenheit zum Austausch mit Kolleg:innen, Doktorand:innen, Student:innen und Besucher:innen wie Burkhardt Wolf, Wolfram Eilenberger, Arne Höcker und Uwe Wirth. Besonders die Doktorand:innen unseres Departments haben mich immer wieder dazu angeregt weiterzudenken; ein besonderer Dank gilt hier den Studierenden der Kurse »Wounded Heroes«, »Literature and ­Climate Change« und »Assembling the Precarious«. Die Diskussionen in diesen Kursen haben viele Fragen aufgeworfen, die dieses Buch bereichert haben. Unter all den Doktorand:innen, die hier zu nennen wären, gilt mein ganz besonderer Dank Katharina Schmid-Schmidsfelden, ­Katherine Pollock, Cynthia Shin, Maria Fink, Nina Morais, Bettina Christner, Louise Bassini, Lanre Okuseinde und David Gould. Ihre Leidenschaft für experimentelle Kunst und alles Unkonventionelle hat mich immer wieder von Neuem angetrieben. Darüber hinaus haben wir im November 2023 in unserem Department eine Arbeitsgruppe für Theater und Performance ins Leben gerufen, die Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachbereichen zusammenbringt und die für mich bereits in dieser kurzen Zeit eine unschätzbare Quelle der Inspiration und Energie war.

Neben meinem eigenen Department schätze ich die Indiana University im Gesamten als einen lebendigen Ort des gemeinsamen Denkens und Arbeitens. Dabei denke ich v. a. an die anregende Gruppe rund um das Cultural Studies Program (besonderer Dank gilt hier Ray Guins, Rebekah Sheldon und Tess J. Given), aber auch an die zahlreichen Kolleg:innen und Freund:innen, die mich auf meinem Weg hier in Bloomington begleitet haben, wie Mark Roseman, Roberta Pergher, Jennifer Goodlander, Sonia Velazquez, Alyson ­Calhoun, Joan ­Hawkins, Anke Birkenmaier, Ed Dallis-Comentale und meine ehemaligen Kolleg:innen Shane Vogel (jetzt Yale University) und Ilana ­Gershon (jetzt Rice University).

Und doch – wie bei allen Reisen – kann das, was dieses Buch geprägt hat, nicht auf meine heutige Heimat beschränkt werden. Das German Studies Department der University of Michigan, an dem ich zwei Jahre als Postdoc verbracht habe, hat mich mit Gesprächen, Freundschaften und jeglicher Form der Unterstützung bereichert. Hier möchte ich besonders Kerstin Barndt, Andreas Gailus, Julia Hell, Johannes von Moltke, Helmut Puff und Scott Spector, aber auch Malcolm Tulip und Tzveta Kassabova (beide vom Department for Theatre & Drama) hervorheben. Ich schätze mich unglaublich glücklich, dass ich mit ihnen einen intellektuellen Raum teilen konnte, der weit über den Campus hinausging und alle möglichen Feste beinhaltete.

Ich bin auch voller Dankbarkeit für alles, was ich von der Gruppe an Wissenschaftler:innen gelernt habe, mit denen ich während meiner Zeit in Wien zusammenarbeiten durfte. Dazu zählt insbesondere die Gruppe rund um das Jelinek-Forschungszentrum, das neben seiner Leiterin Pia Janke von so vielen talentierten und leidenschaftlichen jungen Wissenschaftler:innen (ein besonderer Dank an ­Christian Schenkermayer) und Jelinek-Expert:innen wie Inge Arteel, Uta Degner, Ulrike Haß, Gitta Honegger, Brigitte Jirku, Regina Kecht, Monika Meister, Artur Pełka, Katharina Pewny und Monika ­Szczepaniak mit Leben erfüllt wird; sie alle haben meine Leidenschaft für die Diskussion und das Verständnis des Theaters auf so vielfältige Weise angefacht und unterstützt. Leider kann ich hier nicht alle Kolleg:innen aus dieser Zeit nennen, die mir ans Herz gewachsen sind und denen ich zu großem Dank verpflichtet bin, da ich von so vielen inspirierenden und klugen Köpfen umgeben war. Besonders hervorheben möchte ich allerdings Silke Felber. Wir haben jahrelang ein Büro geteilt und eine Form des kollaborativen Denkens kultiviert, die mich seither inspiriert. Ich schätze mich glücklich, dass diese Freundschaft bis heute anhält.

Neben diesen institutionellen Verbindungen sind es zahlreiche weitere Kolleg:innen und Freund:innen, mit denen ich meine Ideen für das Buch geteilt habe und die einen wichtigen Einfluss auf mein Denken und insbesondere auf dieses Buch hatten, denen ich danken möchte. Es waren Kolleg:innen wie Marc Silberman, ­Emmanuel ­Béhague, Claudia Breger, Paul Buchholz, Matthew Cornish, Jack Davis, Leonie Ettinger, Megan Ewing, Peter Höyng, Kristopher ­Imbrigiotta, Olivia Landry, Richard Langston, Klaus Mladek, Tanja Nusser, ­Benjamin Lewis Robinson und Anna Senuysal, die meine Leidenschaft für das zeitgenössische Theater teilen und die sich in den vergangenen Jahren kritisch mit meinem Projekt auseinandergesetzt haben. Ebenso dankbar bin ich für das andauernde Gespräch mit Elfriede Jelinek, Kevin Rittberger und Jürgen Kuttner, die meine Arbeit und mein Denken auf so vielfältige Weise inspiriert haben. Darüber hinaus bin ich dankbar für die Einladungen der Heiner Müller Gesellschaft (hier ein besonderer Dank an Marten Weise und seine Frage zu Störung und Gewalt), an die NYU, Rutgers, Wisconsin-Madison, die University of Cincinnati, die Freie Universität Berlin, die University of Leeds, die Universität Straßburg und die Sorbonne, die es mir ermöglicht haben, (frühe) Ideen in Verbindung mit diesem Buch zu entwickeln, meine Gedanken zu ordnen und Argumente zuzuspitzen. Ein großer Dank gilt Julia Lückl, die mit ihrem Blick auf das Manuskript geholfen hat, Ungenauigkeiten und stilistische Fehlgriffe zu reduzieren. Darüber hinaus bin ich voller Dankbarkeit für alles, was Harald Müller und Paul Tischler von Theater der Zeit für mich getan haben.

Zu guter Letzt darf ich jene Person nennen, die dieses Projekt und mein Denken mehr inspiriert hat, als ich es mir je hätte wünschen können. Andrés Guzmán, du bist nicht nur mein treuer Begleiter, wenn es um die geteilte aufrichtige Liebe und Leidenschaft für das geht, was wir herausfinden und in Worte fassen müssen, sondern du forderst mich auch immer wieder aufs Neue heraus und inspirierst mich, die Grenzen meines Denkens neu zu erkunden. Ohne dich hätten es einige meiner wichtigsten Dialogpartner:innen nie in dieses Buch geschafft. Ich bin unendlich dankbar, dass du mich täglich mit Gedanken und Ideen umgibst, von denen ich manchmal eine aufgreifen und mir zu eigen machen kann. Es gibt nichts Schöneres als die Denkpartnerschaft mit dir.


1 Müller, Heiner: »Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten«, in: ders.: Werke 5. Stücke 3, hrsg. v. Frank Hörnigk, Frankfurt a. M. 2002, S. 84.

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