Auftritt
Dresden: Ende einer Sommerliebe
Staatsschauspiel Dresden: „Der geteilte Himmel“ nach Christa Wolf. Regie Tilmann Köhler, Bühne Karoly Risz, Kostüm Susanne Uhl
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)
„Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen.“ Damit hebt Tilmann Köhlers Inszenierung von Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“ an. Ein bemerkenswerter Zugang. Wer mit diesem epischen Versuch des „Bitterfelder Weges“ („Greif zur Feder, Kumpel!“) aufgewachsen ist – und dagegen ein gewisses Maß an Überdruss entwickelt hat –, der wird von Köhlers Perspektive überrascht sein. Wie soll man leben? Die Frage wirkt hier frappierend frisch, keineswegs angestaubt. Dabei meinte man doch, diese „vorkritische“ Erzählung Christa Wolfs gut genug zu kennen. Lauter verbrauchte Träume von gestern, dem gerechten Vergessen anheimgegeben! Aber das, so zeigt uns Köhler, ist falsch. In dem Text steckt viel gegenwärtiges Wissenwollen über eine Vergangenheit, die nicht tot ist.
Die Liebe zwischen Rita Seidel und Manfred Herrfurth wurde keinesfalls mit dem Mauerbau am 13. August 1961 zerstört, wie man heute mutmaßen könnte. Das wäre zu simpel in Analogie zum politischen Geschehen gedacht. Hier vollzieht sich ein anderes Drama, über das Christa Wolf in ihren Tagebüchern schreibt: „Ihre Liebe ist vorher zerbrochen, nicht dadurch, daß er weggeht. Allerdings hat die Trennung jetzt etwas Endgültiges und schneidet noch tiefer ein.“
Die Bühne von Karoly Risz ist weitgehend leer. Ein schlichtes Holzpodest, auf dem man im Kreis laufen und mit dem Fahrrad fahren kann. Ein Spiel mit weißen Tüchern, die vom Bühnenhimmel mal fallen, mal wehen, gelegentlich auch wieder aufsteigen. Je nach Stimmungslage andersfarbige Luftballons sind dabei paradoxerweise für die Melancholie zuständig. Sind alle Utopien bloß Illusionen, zuletzt gar Ideologien, die das Gewollte (mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit) ins Gegenteil verwandeln?
Rita liegt im Krankenhaus, sie hatte einen Unfall in jenem Waggonwerk, in dem die „Helden“ der sozialistischen Produktion um Steigerung der Produktion kämpfen. Nein, keine Helden, sondern eine ziemlich anarchistisch gestimmte Gruppe aus zusammengewürfelten Existenzen und gerade darum in Ritas Augen irgendwie großartig. Rolf Meternagel (auf vertrauenswürdige Weise kantig: Ahmad Mesgarha) etwa, der eine „negative Kaderentwicklung“ durchlaufen hat, beeindruckt sie sichtlich. Manfred Herrfurth dagegen – ihre große Liebe, dessen so wichtige Arbeiten von den Funktionären links liegen gelassen werden – hört auf zu kämpfen. Im Westen weiß man um die Bedeutung seiner Arbeiten, und man erschwert ihm nicht sinnlos den Weg. Keine Frage, wo er leben wird.
In diesem Dresdner „Geteilten Himmel“ ist ein Wissen wie mit Händen zu greifen, es liegt auf sinnliche Weise in der Luft: Jeder Entschluss, das eigene Leben betreffend, hat Folgen für weitere. Es ist nicht nur die große Geschichte von West und Ost, die uns beschädigt, sondern wir selbst sind es in unserem Miteinander, das oft genug zum Gegeneinander mutiert. Köhler: „Das Beschwören von Ritas Genesung täuscht nicht darüber hinweg, dass etwas gestorben ist.“ Was ist es, das man hier nicht erzählen kann, sondern zeigen muss? Ein Sommerstück: „Die Stadt, kurz vor dem Herbst noch in Glut getaucht nach dem kühlen Regensommer dieses Jahres, atmete heftiger als sonst.“ Die Geschichte einer Abkühlung wider Willen. Köhler – 2005 in Weimar mit grandiosen Inszenierungen von „Der Drache“ und „Krankheit der Jugend“ (eingeladen zum Theatertreffen) als Regisseur gestartet – kam danach auf die fatal beschleunigte Umlaufbahn des überall gefragten Jungregisseurs. Sein Ritt durch die Weltliteratur hat mich dann zwischenzeitlich wenig interessiert, manches drohte zur bloßen Masche zu werden. Aber nun wieder (endlich!) ein auf intelligente Weise kraftvollpoetischer Abend, von einer solch überbordenden Vitalität, dem zuzuschauen beglückt.
Das liegt auch an den Schauspielern. Hier beweist Köhler Mut in der Wahl seiner Hauptdarstellerin. Lea Ruckpaul als Rita Seidel ist Schauspielstudentin in Leipzig und wirkt so energisch wie eine Feder, die das Uhrwerk der Inszenierung antreibt. Da mischen sich Naivität und Klugheit, Charme und Frechheit zu jenem Ausdruck, der das Mädchen Rita durch den „Geteilten Himmel“ trägt. Und auch Matthias Reichwald gibt Manfred Herrfurth jene nachdenklich-skeptische Aura, die sein Handeln erzwingt. Der Regisseur, um die Schwierigkeiten der Dramatisierung einer Romanvorlage wissend, hat Rita Seidel gleich noch weiter multipliziert. Annika Schilling ist das Mädchen Rita im Krankenhaus und Hannelore Koch Rita als ältere Dame, die zurückschaut und von jener Stadt erzählt, über der sich der Himmel teilt. Er teilt sich immer, wenn eine Liebe zu Ende geht. //