Der Traum von einem vereinten Kontinent zerbröselt den Menschen in den Händen. Peter Staatsmann, der Intendant des Zimmertheaters Rottweil, spürt in seiner Stückentwicklung „Raub der Europa“ den Widersprüchen dieses fragilen politischen Konstrukts nach. Dazu nimmt der Regisseur zwei Alt-68er in den Blick, die beim Marsch durch die Marktwirtschaft ihre Menschlichkeit auf der Strecke gelassen haben. Virtuos spielt er mit dem Mythos vom Raub der Europa durch Zeus. In Gestalt eines Stiers entführte der olympische Gott die phönizische Königstochter. Die Historikerin Annette Kuhn hatte vor Jahren die patriarchalische Überlieferung des Ovid aus feministischer Sicht neu interpretiert. Diese Befreiung aber bleibt den Frauen in der vielschichtigen Regiearbeit versagt.
Auf einen faszinierenden Spagat lässt sich Staatsmann mit dem zweieinhalbstündigen Theaterabend ein. Der skrupellose Manager Richard, von Peter Raffalt knallhart karikiert, ermöglicht seiner Frau ein Luxusleben. Zwischen Bildbänden und Gemälden sucht das Wohlstandsweib Marie verzweifelt nach einem Lebenssinn. Tizians „Raub der Europa“ hängt als Kunststück an der Wand. Petra Weimer verkörpert die Leere der Unternehmersgattin mit all ihren dunklen Konsequenzen. Bettina Schültkes Kostüme zeigen den sozialen Kontext klar und doch schlicht. Staatsmanns Bühne ist ein Wohnzimmer, das Bildungsbürgerlichkeit und Wohlstand spiegelt. Hier machen die Alten ihre Kinder, die von einer besseren Welt träumen, zu...