Hyperkommodifizierung und das Ende der Entfremdung
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Wendungen: Die andere Wahrheit (09/2021)
Kurt, nach seiner schmerzhaften Erfahrung, hat ein Gespür für diese Differenz. „Private Vorteile, öffentliche Laster“ lautet sein Fazit, seine neue, andere Wahrheit in Umkehrung des Untertitels von Bernard Mandevilles berühmter Bienenfabel aus dem Jahr 1714, als der Kapitalismus noch eine Utopie war: „Privat Vices, Publick Benefits“. Er streckt seine Fühler zur Gewerkschaft aus. Die Gewerkschaft, na ja. Deren Funktionäre verteidigten seit je und hartnäckig Industrien, Arbeitsplätze, deren Profitabilität unverkennbar destruktive Züge trug: Rüstung, Kohle, Schwerindustrie, und sie hüllten sich in Schweigen, wenn ruchbar wurde, dass systematischer Betrug die Geschäfte blühen ließ.
Seit Kroetz sein Stück schrieb, ging es rapide abwärts mit den Mitgliedszahlen, mit der Arbeitersolidarität. Für viele Kapitalismuskritiker ein Symptom mehr für den finalen Triumph des obsiegenden Sozialmodells, für das ‚Schweigen der Lämmer‘, mögen diese noch so rabiat geschoren werden.
Der Hauptstrom heutiger Kapitalismuskritik kommt dementsprechend kleinlaut, resignativ, letztlich affirmativ daher. Die Analyse der Verhältnisse führt nicht länger zur Aufdeckung von Widersprüchen, die über sie hinausweisen, schon gar nicht zur Identifizierung sozialer Akteure, die sie zum Tanzen bringen, vielmehr und auf leisen Sohlen zur Bekräftigung des krud Gegebenen: Zersplitterung des Sozialen, Isolation der Individuen, konkurrenzbetonter Habitus, ausweglose Komplizenschaft mit dem Modus Operandi neoliberal verfasster Gesellschaften. Mitunter schlägt dieser Gestus...