Gespräch
Was macht das Theater, Jürgen Holtz?
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Edgar Selge: Der helle Wahnsinn (01/2019)
Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...?
Jürgen Holtz, Ende Dezember lief am Berliner Ensemble die dreihundertste Vorstellung der „Dreigroschenoper“ in der Regie von Robert Wilson. Haben Sie im September 2007, als die Premiere war, erwartet, dass die Inszenierung so erfolgreich sein würde?
Über so was habe ich mir nie Gedanken gemacht. Es gibt gute Inszenierungen, die schlecht laufen, und schlechte, die gut laufen. Dies ist eine gute, die gut läuft. Kommt auch vor.
Ich hatte den Eindruck, dass Wilsons formal zugespitzter Inszenierungsstil im Widerspruch steht zu Brechts Gestus von „Kunst ist Waffe“, wie Friedrich Wolf es formulierte. Wird hier der Anklagegestus der Bettleroper einem artifiziellen Selbstzweck geopfert?
Nein, finde ich gar nicht. Die Künstlichkeit ist von Bert Brecht und Kurt Weill unbedingt gewollt. Das „Glotzt nicht so romantisch“ zeigt ja die Richtung, in die es geht: Stummfilmästhetik, schnelle Auf- und Abblenden, kalter Beobachtergestus. Bei Probenhalbzeit zeigte Wilson den Film, den er über unsere Arbeit bis dahin gemacht hatte. Da sah ich etwas! Diese merkwürdige Aufführungsästhetik trifft den schrillen Charme des frühen 20. Jahrhunderts sehr genau. Die Aufführung ist aus Musik, Bewegung, Sprache und Licht gemacht. Ein Konstrukt!
Manche erblicken darin eine Art Marionettentheater, das den Schauspielern jede Freiheit nimmt.
Das Gegenteil ist der Fall! Aber man...