2. Inszenieren
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Kritik des Theaters (04/2013)
Zwei soziologische Modelle aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versuchen die Erscheinung des Menschen und sein Auftreten in der Öffentlichkeit mit dem Parameter von Inszenierung zu beschreiben. David Riesman230 stellt in seiner Untersuchung Die einsame Masse für die US-amerikanische Öffentlichkeit der 1950er Jahre zwei Sozialtypen fest: den innengeleiteten und den außengeleiteten Menschen. Der eine folgt in seinem Leben Überzeugungen, die er erworben hat und die gegen äußere Widerstände aufrechterhalten werden. Der andere hingegen orientiert sein Handeln und seine Meinung an dem Kontext, in dem er agiert. Er verfügt über eine soziale Intelligenz, die es ihm ermöglicht, sich an die wechselnden Umgebungen anschmiegen zu können. Er wird mehr gelebt, als dass er durch sein Handeln das Leben bestimmt. Dieser Sozialtypus ist nach Riesman deutlich auf dem Vormarsch, während der Innengeleitete eine veraltete Spezies ist. Die scheinbar im Widerspruch dazu stehende Untersuchung von Richard Sennett231 attestiert hingegen eine Tendenz des Niedergangs von Öffentlichkeit aufgrund der Zunahme von introvertierten Narzissten. Sie sind also innengeleitet, doch anders als Riesman dieses beschreibt. Ihre Innenwendung blickt nicht auf erworbene Werte und Kompetenzen, deren Durchsetzung oder Verleugnung zum Maßstab für die Integrität des Selbst taugen, sondern ihr Blick richtet sich auf eine kindliche Unterscheidung...