Stück
Schamherbstfuge
Ein Monolog
von Avishai Milstein
Erschienen in: Theater der Zeit: Puppen- und Figurentheater (06/2024)
Assoziationen: Stücke
Wäre durchaus willkommen,
hätte die Schauspielerin den Anflug
eines schweizerischen Akzentes.
An besonders emotionalen Stellen
darf sie ihn hemmungslos walten lassen.
© Avishai Milstein. März, 2024
Von Kind auf habe ich geträumt, zweierlei zu werden:
Tänzerin und Jüdin.
Also fing ich an zu sprinten.
Nach dem, was ich in der Villa in der Prinz-Ludwigs-Höhe gesehen habe.
Ich guckte schnell auf die Uhr.
Was blieb mir übrig?
Außer zu rennen.
Ja wie damals.
Scheiße.
Ist mir auch blitzschnell aufgefallen.
Dass ich binnen einem Monat zweimal um mein Leben rennen musste.
Ich war schön fit, prima trainiert.
Das war nicht das Problem.
Trotz meiner Versehrtheit.
Das Problem war eher mit dem Schicksal, oder?
Das jüdische Schicksal ist schon problematisch, darüber wären sich selbst meine Eltern einig gewesen. Jetzt hatte ich es drauf.
Was blieb mir anderes übrig.
Ich war erschrocken, entsetzt.
Die Schädel, die Nadeln, die skalpierte Kunstkopfhautrolle, die wie dünn und fein geschnittene Apfelschale, von Blutflecken umgeben noch dazu, zur Schau gestellt war. Ich habe das alles gesehen, ich schwöre es euch, ich werde es später auch uploaden.
Von wegen Familientreffen.
Die leeren Spritzen. Das Hakenkreuz. Die Bilder von den Massenmärschen. Der Gestank, die beiden Dicken, die halbnackt auf dem Boden...