Die dramatische Situation des bürgerlichen Theaters
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lob des Realismus (05/2015)
Die Entwicklung von Drama und Theater liegt am Beginn der Aufklärung und dann noch für lange Zeit in den Händen der bürgerlichen Klasse, die beide Künste für den Kampf gegen die alte Herrschaft des Adels und gegen die neuen Forderungen des Proletariats verwendet. Die Sublimierung der eigenen Widersprüche, ihre Erfolge als herrschender Klasse und ihre privaten Katastrophen werden die dominanten Themen der dramatischen Situation des bürgerlichen Theaters. So treten sich hier nicht mehr fundamentale Überzeugungen oder Verwandlungskünstler gegenüber, sondern Subjekte, die von inneren Kämpfen gezeichnet sind.
Der Widerspruch der dramatischen Situationen verschiebt sich immer weiter in das bürgerliche Subjekt. Handeln und Wollen, die zu einem Konflikt mit dem Gegenüber führen könnten, lösen den größeren Konflikt im Handelnden selbst aus. Der Bürger traut sich selbst nicht mehr, wenn er fühlt, denkt oder handelt. Diese Folgen der Entfremdung werden aber nicht als Anlass für revolutionäres Fühlen, Denken oder Handeln genommen, sondern dienen als Grund für eine immer weitergehende Ausdifferenzierung seines Innenlebens. Je mehr der Blick sich ins Innere des Selbst wendet, desto labyrinthischere Seelenwindungen treten in all dem kompliziert widersprüchlichen Verhalten ans Licht. Alles wird zum Ausdruck eines nicht ausdrückbaren Inneren und somit zum Anzeichen der Seele. Und die Seele findet in...