Quelle 20: Mensch und Kunstfigur
von Oskar Schlemmer
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
Zeichen unserer Zeit ist die Abstraktion, die einerseits wirkt als Loslösung der Teile von einem bestehenden Ganzen, um diese für sich ad absurdum zu führen oder aber zu ihrem Höchstmaß zu steigern, die sich andererseits auswirkt in Verallgemeinerung und Zusammenfassung, um in großem Umriß ein neues Ganzes zu bilden.
Zeichen unserer Zeit ist ferner die Mechanisierung, der unaufhaltsame Prozeß, der alle Gebiete des Lebens und der Kunst ergreift. Alles Mechanisierbare wird mechanisiert. Resultat: die Erkenntnis des Unmechanisierbaren.
Und nicht zuletzt sind Zeichen unserer Zeit die neuen Möglichkeiten, gegeben durch Technik und Erfindung, die oft völlig neue Voraussetzungen schaffen und die Verwirklichung der kühnsten Phantasien erlauben oder hoffen lassen.
Die Bühne, die Zeitbild sein sollte und besonders zeitbedingte Kunst ist, darf an diesen Zeichen nicht vorübergehen.
„Bühne“, allgemein genommen, ist der Gesamtbereich zu nennen, der zwischen religiösem Kult und der naiven Volksbelustigung liegt, die beide nicht sind, was die Bühne ist: zwecks Wirkung auf den Menschen vom Natürlichen abstrahierte Darstellung.
Dieses Gegenüber von passivem Zuschauer und aktivem Darsteller bestimmt auch die Form der Bühne, deren monumentalste die antike Arena und deren primitivste das Brettergerüst auf dem Marktplatz ist. Konzentrationsbedürfnis schuf den Guckkasten, die heutige „universale“ Form der Bühne....