Selbstverständlich divers
von Barrie Kosky
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Es gibt kein anderes Land, das ein derart vielfältiges Biotop an unzähligen wunderbaren Theatern besitzt, wie Deutschland. Alle paar Kilometer eine Bühne, alle paar Stunden ein anderes Stück … Für mich als Theaterschaffender, aber auch für das Publikum, ist Deutschland ein regelrechtes Paradies! Allerdings nicht völlig unbefleckt. Denn: Es gibt kaum ein anderes Land, in dem die gesellschaftliche Diversität, unterschiedliche Erfahrungen, Perspektiven und Biografien sich im Publikum und auf der Bühne so wenig wiederfinden wie in Deutschland. Wenn ich im Ausland, in Amsterdam, in London oder in Aix-en-Provence inszeniere, bin ich immer wieder überrascht, wie divers die dortigen Ensembles, aber auch das Publikum sind. Eigentlich sollte das keine Überraschung, sondern eine Selbstverständlichkeit sein, da Theater unsere Lebensrealität nicht nur von wenigen Perspektiven aus, sondern mit vielen verschiedenen Augen, Ohren und Stimmen reflektieren sollte.
Es gibt einige wenige Theater in Deutschland, die das tun, die es zur Selbstverständlichkeit erklärt haben, die Diversität unserer Gesellschaft in ihren Programmen, in ihren Stücken, in ihren Ensembles zu verankern. Und zwar nicht nur aus politischer, sondern vor allem auch aus ästhetischer Überzeugung. Denn aktuelle, zeitgenössische Ästhetiken können nur dort entstehen, wo viele unterschiedliche Stimmen das Wort ergreifen oder den Ton setzen.
Das Gorki ist der...