Magazin
Der Vermittler der Dichter
Zur Erinnerung an den Slawisten, Essayisten und Übersetzer Fritz Mierau
von Wolfgang Storch
Erschienen in: Theater der Zeit: Franz Rogowski: Der Schmerz des Boxers (09/2018)
Als zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Russland eine mächtige Bewegung die Gesellschaft ergriffen hatte, suchten die Dichter ihr nachzuspüren und in ihren Findungen sich gegenseitig zu verständigen. Das Gedicht wurde zum ersten Instrument. Im Hören der Dichter aufeinander entfalteten sich ihre Gedichte zu einem vielstimmigen Chor. Fritz Mierau zählte 31 Stimmen. Mit dem „Wir“, das die Partei für den Umbau des Staates einforderte, blieben ihre Stimmen unvereinbar. Ihre Strahlkraft löschte Stalin aus. Gezielt Maßnahme für Maßnahme. Überwachung, Isolation, Verbannung ausgeliefert, in den Arbeitslagern Krankheiten, Umnachtungen überlassen, verendend, hingerichtet oder in den Selbstmord getrieben, kaum einer der Dichter überlebte. Was aus deren Vermächtnis zu nutzen war, wurde benutzt, was nicht zu löschen war, wurde verfälscht.
Mieraus Arbeit galt der Wiedergewinnung der Werke und der Lebensstationen dieser russischen Dichterinnen und Dichter. Gegenüber einer personell eng mit dem Parteiapparat verflochtenen Slawistik an der Humboldt-Universität zu Berlin und der ebenso unter dem Dogma des Sozialistischen Realismus gelähmten Literaturwissenschaft, abhängig die Verlage und die Rezensenten, scheute er nicht den Bruch. Durch seine zweisprachigen Ausgaben bei Reclam Leipzig wurden die Gedichte in der DDR wie in Russland selbst wieder wirksam. Er konfrontierte die Leser mit der weiterwirkenden Vergangenheit in der sowjetischen Führung und eröffnete ihnen...