Magazin
Der vertraute Fremde
Zum Tod des Schauspielers Gottfried John
von Gunnar Decker
Erschienen in: Theater der Zeit: Blackfacing (10/2014)
Er hatte etwas von einem Baum, groß und knorrig. Die dunklen Ringe um die Augen erinnerten irgendwie an Jahresringe: wieder ein Jahr lang Wind und Regen getrotzt – und dabei weitergewachsen.
Das war auch die lebenslange Haltung Johns: Widerständen zu trotzen, indem er sie ohne sichtbare Regung ertrug. Im Grundvertrauen auf die Festigkeit jenes Holzes, aus dem er gemacht war. Denn dieses hatte die Probe auf seine Haltbarkeit früh zu bestehen. 1942 geboren und als Heimkind aufgewachsen (der Mutter, an der er hing, war das Sorgerecht entzogen worden), musste er sich zunächst allein durchschlagen, aufmerksam bis zum Misstrauen gegen andere sein, Liebesbedürftigkeit mit Wachsamkeit umgürten.
Das sieht man seinem Spiel auch an, diesem Zugleich von schläfriger Passivität und fast schon lauerndem Auf-dem-Sprung-Sein. Denn die Welt ist schlecht, und wer als Zweiter zieht, ist schon tot. Mit dieser Cowboyweisheit reiste John durch das Wirtschaftswunderdeutschland. Er wirkte dabei so fremd, dass er einem Sammler derartiger Fremdlinge im eigenen Land unweigerlich einmal begegnen musste: Rainer Werner Fassbinder. Bei ihm spielte er viel – „Die Ehe der Maria Braun“, „Berlin Alexanderplatz“, „Lili Marleen“ … Fassbinder, das war jemand, der den Dreck aufspürte in den Seelen der Überlebenden des Krieges, deren Drang nach komfortablem Vergessen...