SCORES – Insert Tanzquartier Wien
Opening (Stadt) Parcours
Ein kobaltblauer Teller
von Ana Hoffner
Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)
Assoziationen: Österreich Tanz
Ana Hoffner — EIN KOBALTBLAUER TELLER
Ein kobaltblauer Teller ist das einzige Relikt aus der Zeit, in der ich als illegalisierter Flüchtling aus Ex-Jugoslawien in Wien gelebt habe. Im Gedächtnisraum des Sigmund Freud Museums verstrickt sich meine Geschichte mit dem Leben wie auch der Arbeit der Kinderanalytikerin Anna Freud, die in der Berggasse praktizierte. Das Freilegen des Verschütteten, die Reste der Vergangenheit spielen in der Psychoanalyse eine große Rolle. Wenn ich etwas darüber erfahren will, muss ich weiterforschen. Ich grabe in den Schutthaufen der Erinnerung, suche nach Geschichten, taste mich vorwärts in das Unbekannte. 2007 finde ich Berichte über Arigona Zogaj, sie soll mit ihrer Familie nach Kosovo abgeschoben werden. Aber das, was mich interessiert, bleibt weiterhin verborgen. In den unzähligen Erzählungen über migrantische Kinder findet sich selten etwas über ihren Alltag. Was essen sie? Was ziehen sie an? Das Kind auf der Flucht, das Kind ohne Dokumente ist immer ein ausgestellter Gegenstand. Es ist unter Beobachtung und von besonderem Interesse. Das seltsame Objekt Kind erweckt viel Mitleid und löst viel Angst aus. Sein Fetischisieren bewirkt einen Stillstand jener Geschichten, die die Psychoanalyse in Bewegung gebracht hat. Kein Hinhören mehr auf den Wolfsmann, den kleinen Hans, auf Dora und Anna....