Tanz
Probleme tänzerischer Musik
von Bernhard Böttner
Erschienen in: Theater der Zeit: Objektive Kritik? (09/1946)
Die Entwicklung des Kunsttanzes lehnt sich mehr, als man bisher zu beachten pflegte, an die der Musik an; der Tanz wäre wohl in seinen primitiven Urformen mit Geräuschbegleitung steckengeblieben, wenn sich das Ausdrucksbedürfnis des tanzenden Menschen im Rhythmisch- Dynamischen erschöpft hätte. Wir können heute schlechthin von einer Analogie der Entwicklungsgeschichte beider Künste sprechen, wobei wir nicht nur an die Gemeinsamkeit ihrer stilistischen Kennzeichen denken, sondern uns vor allem ihrer gegenseitigen Befruchtung in den kultischen und weltlichen Zeremonien des Mittelalters entsinnen, deren kostbares Erbe in einer Vielzahl musikalisch-tänzerischer Formen auf uns gekommen ist.
Im Laufe der Zeit hat sich aber die Musik zu immer absoluteren Formen entwickelt; sie wurde in ihrem Ausdruck so abstrakt, dass sie untänzerisch war, oder aber die psychischen und physischen Kräfte des Menschen reichten nicht mehr aus, sie choreographisch zu gestalten. Diese Entwicklung der Musik zur vollkommensten Ausdruckskunst wurde in erster Linie durch die vorzügliche Pflege geistlicher Musik in den vergangenen Jahrhunderten bewirkt, von der dann die Brücken zu den Großformen moderner Instrumentalmusik geschlagen wurden. Demgegenüber blieb die weltliche Musik ständig dem Tanze verbunden, sei es im höfischen Tanz oder im Volkstanz.
Auch die moderne Sinfonik ist zutiefst im Tänzerischen verwurzelt. In dieser Erkenntnis sprach Richard Wagner...