Magazin
Geschichten vom Herrn H.: Eine Bühne für Volksfeinde
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Abgründe des Alltäglichen – Das Staatstheater Braunschweig (06/2019)
Ein Jahr ist es her, dass die Akademie der Künste zu dem Kongress „Vorsicht Volksbühne! Das Theater. Die Stadt. Das Publikum“ geladen hatte. Kurz zuvor hatte der linke Kultursenator Klaus Lederer die Zusammenarbeit mit dem Kurzzeitintendanten Chris Dercon beendet. Der war schlicht am falschen Platz gewesen. Das war das Resultat einer mutwillig zerstörerischen Kulturpolitik der Berliner Sozialdemokratie. Aber was ist die Volksbühne? Und wer könnte dort am richtigen Platz sein? Diese Fragen beschäftigten alle, die sich im vergangenen Juni am Pariser Platz eingefunden hatten. Deutlich wurde, dass das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz gegenüber dem Karl-Liebknecht-Haus kein Theater wie jedes andere ist. Es existierte in enger Bindung an die revolutionäre Arbeiterbewegung, wurde in den zwanziger Jahren mit Erwin Piscators politischem Theaterverständnis zur ästhetischen Avantgarde, hier liefen Tollers „Masse Mensch“ und Brechts „Mann ist Mann“.
Als Ostberlin die Hauptstadt eines Arbeiter-und-Bauernstaates von Stalins Gnaden war, wirkten an der Volksbühne Benno Besson und Heiner Müller, beides auf ihre Weise linientreue Dissidenten des Sozialismus. Als der sich abschaffte, kam Frank Castorf. Der brachte noch mehr subkulturellen Charme in das Haus. Er folgte der Einsicht von Ibsens „Volksfeind“: In Zeiten der Lüge wird die Treue zur Wahrheit asozial. Sie muss einen Affront gegen die Gesellschaft darstellen....