Vorwort
von Alexander Stephan und Therese Hörnigk
Erschienen in: Recherchen 4: Rot gleich Braun – Nationalsozialismus und Stalinismus bei Brecht und Zeitgenossen (01/2000)
Das 20. Jahrhundert wird, trotz aller Fortschritte, die es gebracht hat, in vielen Rückblicken sehr kritisch betrachtet. »Ein Jahrhundert der Verachtung« sei es gewesen, war auf einem PEN-Kongress in Warschau zu hören, eine »teuflische«, weil »von den totalitären Regimen Nationalsozialismus und Kommunismus« geprägte Ära. Wissenschaftler schreiben zurückhaltender von einem »Zeitalter der Ideologien«. In Frankreich listet ein Schwarzbuch die Opfer von Bolschewismus und Stalinismus auf - und entfacht so neuen Streit um die alte Gleichung Rot = Braun. Historiker im wiedervereinigten Deutschland greifen auf Formeln der Totalitarismusdiskussion zurück, wenn sie Vergleiche zwischen der DDR und dem Dritten Reich ziehen. Kulturschaffende laden zu Auseinandersetzungen ein, indem sie pauschal von >Dichtern im Dienst< sprechen oder in Ausstellungen die Staatskunst verschiedener Epochen und Systeme kommentarlos nebeneinander hängen.
Die Diskussion um die Gleichsetzung von Rot und Braun und die mit ihr eng verbundene Totalitarismustheorie geht bis in die zwanziger und dreißiger Jahre zurück, als zuerst in den USA und dann unter deutschen Hitlerflüchtlingen im Exil Begriffe wie »Red Huns« bzw. »Brown Bolshevism« und »Communazi« geprägt wurden. Sie erreichte einen Höhepunkt während des Kalten Krieges und erfährt, nach einer kurzen Unterbrechung nach 1968, eine zweite, internationale Renaissance in der Zeit seit dem Zusammenbruch des Kommunismus -...