3.3. Jenseits des Signifikanten?
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Der Unterschied zwischen den ausgetrockneten Einzelteilen Quevedos und der saftstrotzenden grotesken Leiblichkeit Rabelais’ lässt sich nun auch auf die Differenz zwischen einer endlosen Serie »körperloser Organe« und dem »organlosen Körper« beziehen. Denn letzterer korrespondiert nicht nur dem reinen visuellen Schema, sondern wird in »Anti-Ödipus« auch mit dem Begriff des »vollen Körpers der Erde« verbunden, dem Deleuze/Guattari historische Realität zusprechen: als Signatur einer Epoche vor dem Eindringen des Signifikanten und damit vor jeder Erfahrung eines »traumatisierenden« Anderen.32 Umgekehrt überrascht es nicht, dass Quevedos »negative« Satire ihren anti-repräsentativen Impulsen zum Trotz eine Unendlichkeit des »Gottesgerichts« und seiner Urteile zelebriert, die Deleuze/Guattari als Effekt des »despotischen Signifikantenregimes« beschreiben und unter anderem der Durchsetzung des Christentums anlasten. (Einer ihrer Vorwürfe speziell an die Psychoanalyse Melanie Kleins lautet dementsprechend, dass sie in ihrer Konzeption der »Partialobjekte« bei den »körperlosen Organe« stehenbleibe und die gesamte Ebene des »organlosen Körpers« vergesse.)33 Es nimmt also nicht Wunder, dass die Landschaft ungehemmter und mangelloser Wunschproduktion aus der berühmten Eingangspassage des »Anti-Ödipus« deutlich an die »werdenden« Leiber Rabelais’ erinnert, denen der individuelle Tod keine Kerbung beibringen kann und deren Teile sich im Rahmen einer gigantischen Produktion beliebig substituieren und verketten können:
Es atmet, wärmt, isst. Es scheißt, es fickt. Das...