Abschied
Algebra der Harmonie (1974)
von Juri Ljubimow
Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)
Assoziationen: Akteure
Es wäre mir eine Sünde, mich über mein Schicksal als Schauspieler zu beklagen: Es hatte sich glücklich gefügt. Und trotzdem begann ich aus Unzufriedenheit, mich mit Regie zu beschäftigen. Als Schauspieler war ich für den Regisseur oft unausstehlich: Wir hatten gerade erst mit der Arbeit begonnen, doch in mir lebte bereits das Gefühl der Lösung der Szene. Dieses Apriori-Kennen des Resultats störte – versklavte, raubte die Unmittelbarkeit – und erzürnte natürlich den Inszenator der Aufführung.
Es entstanden Konflikte. Wie seltsam es auch sein mag – aber vielleicht ist es natürlich –, wir stritten gewöhnlich nicht über meine Rolle, nicht über die inneren schauspielerischen Zugänge zu ihr, sondern über die allgemein plastische, gedankliche Lösung der Szene im Raum.
Bei uns verhält man sich auch bis heute noch misstrauisch gegenüber einer kühnen plastischen Lösung. Es ist üblich, von der Alltagswahrheit, von der alltäglichen Echtheit auszugehen. Aber in der Kunst ist nicht unmittelbar die Wahrheit des Alltags wertvoll, sondern die künstlerische Gestalt, und die Unterschätzung der Rolle der Form bei der Suche nach der Bildhaftigkeit ist ein seltsames, aber verbreitetes Vorurteil. Das innere Angefülltsein des Schauspielers scheint uns, wenn es nicht in eine klare Form gegossen ist, aus dem Zuschauerraum nicht überzeugend und...