Auftritt
Bruchsal: Der dunkle Fluss des Erinnerns
Badische Landesbühne: „Es wird schon nicht so schlimm!“ (UA) von Hans Schweikart. Regie Carsten Ramm, Bühne Tilo Schwarz, Kostüme Kerstin Oelker
von Elisabeth Maier
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater ist kein Wettrennen – Barbara Frey am Schauspielhaus Zürich (01/2018)
Assoziationen: Badische Landesbühne
„Heute wissen wir es. Heute fassen wir diesen Sommer nicht und die Heiterkeit, mit der wir ihn erleben konnten.“ Mit diesen Sätzen beginnt Hans Schweikarts Novelle „Es wird schon nicht so schlimm!“, die er 1945 kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb. In der Erzählung erinnert der ehemalige Intendant der Münchner Kammerspiele an das deutsch-jüdische Schauspielerehepaar Meta und Joachim Gottschalk. Unter dem massiven Druck der Nationalsozialisten nahmen sich die beiden 1941 mit ihrem Sohn das Leben. 1947 machte Kurt Maetzig aus dem tragischen Stoff einen Filmerfolg. Dann galt der Text als verschollen, bis ihn Carsten Ramm wiederentdeckte. Auf der kleinen Bühne im Bürgerzentrum Hexagon hat der Bruchsaler Intendant das literarische Kleinod in Szene gesetzt. Im vergitterten Angstraum voller Fotografien, den Timo Schwarz geschaffen hat, träumen sich die Schauspieler in den dunklen Fluss des Erinnerns hinein. Zwischen altmodisch gerahmten Familienfotos und vergilbten Künstlerporträts hängt ein Türschild „Juden unerwünscht“. Ein normales Leben gibt es für die Menschen in Ramms Uraufführung nicht mehr.
Wie in einem Albtraum verzerrt Nadine Pape Klänge auf ihrer Geige. Denn immer stärker frisst sich Angst in die Köpfe der Künstler hinein. Nach der Machtübergabe wurden jüdische Künstler an den Theatern verdrängt, die Nationalsozialisten sprachen Berufsverbote aus. Die sechs Schauspieler interpretieren Schweikarts flüssig erzählten Text mitreißend. Erst zitieren sie ihn, dann entwickeln sie daraus ihre Rollen. Klug meistern sie so den Spagat zwischen Prosa und Drama. In kurzen Passagen scheint die Dramaturgie dennoch in die starre Erzählform zu kippen. Der Bericht vom Mädchen, dem auf dem Marktplatz in Nürnberg das Haar geschoren wird, weil es seinen „nichtarischen“ Freund nicht aufgeben wollte, wirkt steif und dokumentarisch aufgesetzt.
Solche Defizite machen die Schauspieler mit starken Rollenporträts wett. Kerstin Oelkers nostalgisch-schlichte Kostüme orientieren sich an Moden der Kriegsjahre. Ramm und sein Ensemble konzentrieren sich auf die Menschen und ihre Beziehungen, spüren viel Zeitloses auf. Das macht ihre Lesart so überzeugend. Furchtsam kauert Cornelia Heilmann als jüdische Schauspielerin, in Schweikarts Novelle Lilly Hollmann genannt, vor den Eisengittern der Bühne. Sie blickt ins Leere, verliert die Sprache, taumelt nach hinten. Stark füllt die herausragende Schauspielerin die Leerstellen aus, die der Theatermann Schweikart im Text offen lässt. Kämpferisch tritt Markus Hennes als ihr nichtjüdischer Ehemann Gregor Maurer auf. Auch er bewegt sich virtuos weg vom Prosatext, schafft es aber nicht immer, die Verzweiflung seiner Figur überzeugend zu zeigen. Dennoch arbeitet Hennes die historische Dimension des Textes heraus. Maurer soll sich als nichtjüdischer Schauspieler von seiner jüdischen Ehefrau scheiden lassen, um Karriere zu machen. Doch seine Liebe war stärker. Vom Verlegersöhnchen zum Nazi-Kulturfunktionär mutiert Tobias Karn zu unvermittelt. Als Schauspieler Kurt Bechstein zeigt Colin Hausberg einen Juden, der die Flucht nach Wien versucht und scheitert. René Laier offenbart den Konflikt des Schauspielers und ehemaligen Offiziers Gallenkamp, der zur Staatspolizei wechselt und eins wird mit den Schlächtern.
Dass der Bruchsaler Intendant Carsten Ramm die lange vergessene Novelle in einem Bändchen herausgegeben hat, ist viel mehr als literarische Ausgrabungsarbeit. Im Vorfeld seiner Inszenierung von Klaus Manns und Ariane Mnouchkines „Mephisto“ in der Spielzeit 2014/15 machte er sich in Archiven auf die Suche nach der Novelle. Bei Hans Schweikarts Sohn wurde der Landesbühnenchef fündig. Gleich nach Kriegsende erzählte der 1975 verstorbene Schauspieler und Theaterchef ehrlich, aber ohne Bitterkeit, wie die Gleichschaltung jüdische Künstler und ihre Familien zerstörte. „Es wird schon nicht so schlimm!“, sagten sich viele Juden so lange, bis sie in die Konzentrationslager verschleppt wurden. Stark arbeitete Hans Schweikart da die Mahnung an die Nachgeborenen heraus, nicht tatenlos zuzusehen, bis Rassisten die Häuser von vermeintlich Fremden oder Andersdenkenden anzünden. Diese Botschaft übersetzen Ramm und sein Ensemble in ein ebenso schönes wie schlichtes Schauspielertheater. //