Theater der Zeit

Magazin

Shakespeares Schwester

Aphra Behn. Ich lehne es ab, meine Zunge im Zaum zu halten. Gedichte, Dramen, Romane und Erzählungen in zwei Bänden. Hg. u. aus dem Engl. übers. v. T. Schwartz. AvivA Verlag, Bln. 2021, 620 S., 49 EUR

von Holger Teschke

Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)

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„Alle Frauen zusammen sollten Blumen auf das Grabmal von Aphra Behn streuen, das sich skandalöserweise, aber aus guten Gründen in Westminster Abbey befindet“, schrieb Virginia Woolf in ihrem berühmten Essay „Ein eigenes Zimmer“ von 1929 und fügte hinzu: „Sie war es, die ihnen das Recht ­erwarb, ihre Gedanken auszusprechen. Sie war es (…), die mich nicht abwegig erscheinen läßt, wenn ich Ihnen heute Abend sage: Verdienen Sie fünfhundert im Jahr mit Ihren Geistesgaben.“

Genau das hatte Aphra Behn fast dreihundert Jahre früher als erste englische Berufsschriftstellerin mit ihren Theaterstücken und Romanen erfolgreich getan, weswegen Woolf sie auch neben ihre imaginäre Schwester Shakespeares und jene Frauen ihrer Zeit stellte, deren Namen und Werke Anfang des 20. Jahrhunderts ebenso vergessen waren: Anne Finch, Margaret Cavendish und Anne Wharton. Woolf selber war auf Leben und Werk der Dramatikerin durch Vita Sackville-West aufmerksam geworden, die 1927 mit ihrer Biografie: „Aphra Behn. Die unvergleichliche Astraea“ wesentlich zu deren Wiederentdeckung beigetragen hatte.

Aphra Behn wurde 1640 in der Grafschaft Kent geboren, hatte als Tochter eines Arztes und einer Amme einige Jahre in der britischen Kolonie Surinam gelebt und nach ihrer Rückkehr einen deutschen Kaufmann geheiratet. Nach dessen Tod weigerte sie sich, eine neue Ehe zu schließen, und ging stattdessen unter dem Decknamen „Astraea“ als Agentin für den Geheimdienst Charlesʼ II. in die spanischen Niederlande. Als sie von dort 1667 nach England zurückkehrte, bekam sie weder Anerkennung noch Geld, sondern wurde wegen ihrer für die ­Krone aufgelaufenen Schulden ins Gefängnis gesteckt. Erst durch Vermittlung des Theaterdirektors und Dramatikers Thomas Killigrew konnte sie sich ihren Lebensunterhalt mit Komödien wie „Der Freibeuter“ und „Der Herrscher des Mondes“ sowie der Tragödie „Abdelazar“ verdienen, für die später Henry Purcell eine Bühnenmusik schrieb. Ihr Roman „Oroonoko“ erschien 1688 als das erste kritische Prosastück über die ­Folgen von Kolonialisierung und Sklaverei. Auf den Bühnen der Restaurationszeit gehörten ihre Komödien neben denen von John Dryden und William Wycherley zu den meistgespielten. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1689 schrieb sie zwanzig weitere Stücke, die in England noch im 18. Jahrhundert nach­gespielt wurden. Dann empfand man ihren Humor als zu freizügig und ihre Kritik an ­politischer Heuchelei und sexueller Doppelmoral als zu gewagt und ließ sie und ihr Werk in der Versenkung verschwinden.

Der Übersetzer und Schriftsteller ­Tobias Schwartz hat in einer zweibändigen Ausgabe ihre beiden bekanntesten Stücke, den Roman „Oroonoko“ sowie einige Erzählungen und Gedichte neu übersetzt und herausgegeben. Das ist schon deswegen verdienstvoll, weil diese Ausgabe einen Einblick in das umfangreiche Werk Aphra Behns ermöglicht, das in Großbritannien und den USA seit den 1980er Jahren erforscht und kritisch ediert wird. Ob sie jedoch, wie der Herausgeber sich wünscht, in dieser Form die Spielpläne der deutschsprachigen Theater erobern wird, darf bezweifelt werden. Vielleicht finden sich aber jetzt Dramatikerinnen, die Aphra Behns Stücke zu neuen Bearbeitungen inspirieren. Oder ihr wildes und selbstbestimmtes Leben auf die Bühne zu bringen. Das wäre schöner als alle Blumen auf ihrem Grab. //

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