Theater der Zeit

Investitionsobjekt Kunst

Zu den Produktionsbedingungen des mexikanischen Theaters

von Marisa de León

Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Mexiko (03/2015)

Assoziationen: Nordamerika

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Im lateinamerikanischen Kontext hat Mexiko auf verschiedenen Gebieten der Wirtschaft und Kultur eine Führungs- und Vorbildfunktion für die gesamte Region. Es zeichnet sich durch seine breit gefächerte Institutionenlandschaft und eine an Einrichtungen starke Infrastruktur aus. Diese erstreckt sich über das ganze Land, ist jedoch in erster Linie in der Hauptstadt spürbar. Institutionen wie das Instituto Nacional de Bellas Artes (INBA, Nationales Institut der schönen Künste) und der Fondo Nacional para la Cultura y las Artes (FONCA, Nationaler Fonds für Kunst und Kultur) des Consejo Nacional para la Cultura y las Artes (CONACULTA, Nationalrat für Kultur und die Künste) stechen hier hervor, da sie über die meisten Niederlassungen und zugleich über den Etat für die Kunst- und Kulturförderung verfügen.

Indes erweisen sich die genannten Institutionen heute als festgefahren und unzureichend. Sie müssen sich erneuern, damit sie nicht hinter der Zivilgesellschaft zurückbleiben – einer zunehmend aktiven, präsenten und engagierten Zivilgesellschaft mit einer wachsenden und anspruchsvollen Künstlergemeinde. Diese wiederum braucht mehr finanzielle Mittel und Chancen, Arbeits- und Ausstellungsräume, gute Netzwerke und eine moderne Kulturpolitik, die in der Lage ist, für die vielfältigen und vielstimmigen Theaterproduktionen einzutreten, die im ganzen Land entstehen.

Obwohl es auf kommunaler, föderaler und gesamtstaatlicher Ebene eine Vielzahl an Förderprogrammen für Kunstschaffende gibt, reichen die bereitgestellten Mittel nicht aus, um künstlerisches Schaffen und dessen Werke vom Schöpfungsprozess über die Produktion bis hin zum Vertrieb und Marketing zu fördern. Dabei sind es die staatlichen Programme selbst, die durch ihr Förderangebot genau diese Erwartungshaltung aufseiten der Künstler erzeugen – letztlich ein Teufelskreis. Ohnehin muss man davon ausgehen, dass es nicht möglich ist, alle Kunstschaffenden in einem Land zu fördern, in dem Kunst und Kultur keine absolute Priorität bei der Politik genießen. Dennoch koexistieren, konkurrieren und überleben hier verschiedene Arten der Theaterproduktion dank einer Vielzahl wirtschaftlicher Modelle, die dem prekären Entstehungsumfeld der Projekte geschuldet sind.

Im offiziellen Bereich existieren wenige vom Staat geförderte feste Ensembles, die über ein eigenes Stückrepertoire verfügen. Dazu gehören zum Beispiel die Compañía Nacional de Teatro (Nationale Theaterkompanie) und die Compañía Titular de Teatro de la Universidad Veracruzana (Offizielle Theaterkompanie der Universität Veracruz). Sodann gibt es zwei Förderprogramme des FONCA: México en Escena (Mexiko auf der Bühne), das sich an professionelle Theatergruppen wendet, und das Programa de fomento a proyectos de coinversiones culturales (Programm zur Förderung staatlich und privat finanzierter Kulturprojekte), das begrenzte Mittel für Künstlergruppen und einzelne Künstler aller Disziplinen zur Verfügung stellt. Die Stipendien sind ein zeitlich begrenzter Anreiz. Mit dem Ende der Förderperiode fallen die Gruppen zumeist in eine schwer überwindbare Krisensituation, denn diese Art der Förderung versteht sich als eine zusätzliche Unterstützung zum eigentlichen Wirtschaftsmodell der jeweiligen Gruppe. Dass die Fördermittel so verstanden werden, ist allerdings selten der Fall, denn weder die Künstlergruppen noch die Förderer sind daran gewöhnt, in einen Dialog zu treten.

Die große Mehrheit der Theaterprojekte freier, selbstverwalteter und/oder alternativer Gruppen und Kollektive sucht nach eigenen Finanzierungswegen und entwickelt Strategien für die Produktion ihrer Stücke. Dabei nehmen die Beteiligten in den Projekten mehrere Funktionen wahr. Sie sind „Alleskönner“, die sich um die Finanzierung kümmern, selbst auf der Bühne stehen, Regie führen, in der Produktion arbeiten und sich um Vertrieb und Werbung kümmern. Sie sind zu Experten darin geworden, Präsentationsmappen für die Projekte anzufertigen und/oder Spezialisten mit der Ausarbeitung eines Projektantrags zu beauftragen. Immer mehr Gruppen beantragen die finanzielle Förderung Efiteatro, die für den privaten Sektor wie eine Steuergutschrift funktioniert: Teile der Unternehmenssteuer können als finanzielle Förderung inländischen Theaterproduktionen zugedacht werden. Hier beauftragen die Theatergruppen sogenannte Brokers (Agenten) damit, in der Planung befindliche Projekte möglichen Investoren vorzustellen. Auch werden Finanzierungskampagnen über soziale Netzwerke, virtuelle Plattformen wie Fondeadora oder andere Arten von Crowdfunding lanciert. Darüber hinaus treten diese Gruppen mit der Bitte um Sach- oder Finanzbeihilfen an öffentliche oder private Spender heran, wobei sie auf Strategien setzen, die den Unternehmen im Gegenzug Vorteile und Prestige versprechen. Vor allem sogenannte Unternehmen mit „sozialer Verantwortung“ sind interessant, denn der bloße Abdruck eines Logos in Druck-Erzeugnissen verliert an Werbekraft.

Mexiko ist ein paternalistisch geprägtes Land, das zwar einen allgegenwärtigen Staat hervorgebracht hat, der jedoch durch eine unzureichende Gesellschaftspolitik gekennzeichnet ist. Diesem Staat fehlt es an einer Vision und an Vertrauen in alternative Modelle, Mechanismen und Vorgehensweisen. Diese müssten private Initiativen fördern sowie gemeinsame Bestrebungen der einzelnen Institutionen koordinieren und vorantreiben. So könnten einerseits funktionierende Netzwerke für Festivals sowie die Zusammenarbeit mit anderen lateinamerikanischen Ländern ausgebaut werden, andererseits wäre eine Kontinuität der Arbeit freier Gruppen gewährleistet. Den Forderungen der Kulturschaffenden könnte von aufstrebenden Kulturmanagern und spezialisierten Produzenten entsprochen werden, die es sich zur Aufgabe machen, bessere Arbeitsbedingungen und Netzwerke für das mexikanische Theater zu schaffen. Was die Theaterproduktion in Mexiko angeht, so muss also noch viel gedacht, entdeckt und erschlossen werden. //

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