Theater der Zeit

20 Jahre Theater der Zeit

Alles neu macht der Mai

Über den Neustart von Theater der Zeit vor 20 Jahren

von Martin Linzer

Erschienen in: Theater der Zeit: Wölfin im Schafspelz – Die Schauspielerin Constanze Becker (05/2013)

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Stammleser, vor allem älterer Jahrgänge, werden sich an die Lücke erinnern, die entstand, als 1992 der alte Henschelverlag „Kunst und Gesellschaft“ wendebedingt kollabierte und seine seit 1946 erscheinende Zeitschrift Theater der Zeit einstellen musste. Im März erschien die letzte Ausgabe, ein melancholischer Abschied für die Macher wie für den Rest treuer Leser. Aber ein paar Redakteure, Kollegen und Freunde der Zeitschrift mochten nicht aufgeben, die traditionsreiche Zeitschrift war für sie mehr als ein willfähriges Parteiorgan gewesen, es war gerade in den Achtzigern zur Plattform kritischer Theaterleute geworden, und auch viele prominente Kollegen aus den alten Bundesländern ermunterten uns, einen Neustart zu versuchen. Nicht nur als Sprachrohr der gefährdeten Bühnen im Osten, vor allem als Diskussionsforum zur Zusammenführung der Theaterlandschaften in Ost und West.

Die Älteren unter unseren Lesern kennen die Geschichte, zwanzig Jahre später erinnern wir gern an sie, für die nachgewachsene junge Leserschaft, die in ihrer Arbeit die einstige Trennung schon überwunden hat. Bereits im Mai 1992 wurde die interessengemeinschaft theater der zeit e. v. gegründet (Harald Müller und ich übernahmen den Vorsitz), der Kulturfonds sorgte für eine Anschubfinanzierung (nochmals Dank an Ex-Kulturminister Herbert Schirmer), nur die Arbeitsämter blockten ab: Die begehrten ABM-Stellen gab es vorzugsweise für alte Seilschaften, die sich in obskuren Heimatvereinen sammelten, nicht für uns. Trotzdem gingen wir mit Elan an die Arbeit, fanden ein „Asyl“ im alten Kreiskulturhaus Treptow. Am 1. Mai 1993 erschien das erste neue Heft. Wir standen zu unserer Geschichte, Heft 1, aber 48. Jahrgang, und wollten wieder eine „Zeitschrift für Politik und Theater“ sein.

Im Entree dieses ersten Heftes hieß es unter anderem: „In einer Situation weltgeschichtlicher Umwälzungen will die Zeitschrift Theaterleuten aus Ost und West, aus Nord und Süd ein Forum der Kritik, der Debatte, der Verständigung öffnen; in einer zerklüfteten Theaterlandschaft will sie zu einer gemeinsamen Sprache beitragen. ‚Theater der Zeit‘ will informieren und Position beziehen; die Zeitschrift will teilnehmen an der Gestaltwerdung einer Nation, bei deren geistiger Selbstverständigung Drama und Theater von jeher eine bedeutende Rolle gespielt haben.“

Ich selber hätte, ehrlich gesagt, damals keinen alten Hosenknopf gewettet, dass die neue Theater der Zeit einmal ihr zwanzigjähriges Jubiläum feiern könnte, aber unsere Botschaft wurde gehört und verstanden, in Ost wie in West. Ein für die Stabilisierung unserer Arbeit entscheidender Moment war wohl – das mag jetzt leicht zynisch klingen – der Tod von Heiner Müller, der unsere Arbeit in ihren Anfängen tatkräftig unterstützt hatte. Um ihm zu danken und ihm zugleich ein Denkmal zu setzen, setzte sich eine Gruppe von Leuten (Frank Hörnigk, Harald Müller, Frank Raddatz, Wolfgang Storch, Holger Teschke und ich unter Mitarbeit von Grischa Meyer) zusammen, um in Tag-, manchmal auch Nachtarbeit eine Edition quasi aus dem Boden zu stampfen, die wir „Kalkfell“ nannten, mit potenten Autoren von Pierre Boulez bis Robert Wilson. Der Erfolg dieses Heiner Müller gewidmeten Arbeitsbuches, nicht nur ökonomisch, stärkte unser Selbstbewusstsein, wir wussten jetzt: Wir können es schaffen. Zugleich war damit auch der Grundstein gelegt für die Erfolgsgeschichte von Theater der Zeit als Verlag: Es folgten weitere Arbeitsbücher, die Reihe Recherchen und, und, und (siehe den aktuellen Katalog).

Der nachhaltige Erfolg verdankt sich in erster Linie der selbstlosen, gelegentlich auch selbstausbeuterischen Anstrengung aller in dieses Projekt involvierten Mitarbeiter sowie dem taktischen wie strategischen Geschick der Geschäftsführung. Unsere Arbeit folgte zwei Grundsätzen: Einerseits muss man stets erkennbar zu seinen Positionen stehen; Theater der Zeit analysiert, wie Politik auf Theater wirkt und wie Theater auf Politik reagiert. Andererseits ist es wichtig, flexibel, rasch und punktgenau auf Veränderungen in Politik und im Theater zu reagieren, auf Fragen Antworten zu finden, konkret, mit Namen und Adresse. Dafür stehen auch nach zwanzig Jahren die Mitglieder von Verlag und Redaktion, die festen und freien Mitarbeiter, die sich zur Philosophie von Theater der Zeit bekennen, sie lebendig werden lassen in ihrer Arbeit, ihren Beiträgen.

In diesem Sinn grüße ich alle Leser anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums (im 68. Jahrgang!) und wünsche uns allen weiter gute, informationsreiche wie streitbare Hefte der alten/ neuen Theater der Zeit. //

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