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Treibstoff Sprache
Zum Pariser Kolloquium „Einar Schleef – Material und Materialität: über das Theater hinaus“
von Kristin Schulz
Erschienen in: Theater der Zeit: Feuer und Eis – Theater im ostsibirischen Jakutsk (01/2015)
Der Chor (der Besucherinnen und Besucher) war mitunter kammermusikalisch ausgedünnt, aber das Programm des zweitägigen internationalen Kolloquiums „Einar Schleef – Material und Materialität: über das Thea- ter hinaus“ in Paris am 28. und 29. November 2014 offenbarte das Gesamtkunstwerk Schleef und zog alle Register: In Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Inszenierungsausschnitten und einer Lesung trat Schleef als Autor, Regisseur, Bühnenbildner, Chorleiter, Schauspieler, Fotograf und Maler – und damit als Ausnahmefigur des europäischen Theaters – in Erscheinung. Entsprechend breit waren die Kooperationspartner aufgestellt: das Goethe-Institut, das Théâtre national de la Colline, die Université Sorbonne Nouvelle – Paris 3 öffneten ihre Säle, unterstützt von der Berliner Humboldt-Universität und gefördert von CEREG (Centre d’Études et de Recherches sur l’Espace Germanophone), für das umfassende Programm.
Der Treibstoff Sprache wurde bei Schleef auf der Bühne als körperlicher Akt kenntlich, die Zugehörigkeit zum Chor – erwünscht oder erlitten – immer der Prüfstein des Individuums – im antiken Sinn des Theaters, das den Konflikt zwischen Individuum und Chor exponiert. Die Tragödie wohnt dabei im Körper, der jenseits von Ideologie und moralischen Dichotomien existiert und zugleich als Erinnerungsspeicher (deutscher Gewaltgeschichte) Formiertheit und Fragilität offenlegt, wie u. a. Hans-Thies Lehmann und Helene Varopoulou anhand der Frankfurter Inszenierungen (1986–1990) andeuteten. Charlotte Bomy und...