Gestus und Geste
von Viola Schmidt
Erschienen in: Mit den Ohren sehen – Die Methode des gestischen Sprechens an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin (04/2019)
Unser Verhalten ist dadurch geprägt, dass wir auf sehr verschiedene Weise Beziehungen zu anderen eingehen. Diese Tatsache lässt sich entwicklungsgeschichtlich begründen. Wir sind soziale Wesen, die in bestimmten Konstellationen aufeinander angewiesen sind und sich in anderen voneinander abgrenzen. Die Art und Weise, wie Beziehungen hergestellt werden, variiert einerseits hinsichtlich sozialer und kultureller Zugehörigkeit, andererseits wird sie durch die individuelle Entwicklungsgeschichte eines jeden Menschen geformt. Aber auch die zahlreichen Determinanten einer konkreten Situation, in der die Beziehung hergestellt wird, bestimmen das Verhalten. Wieder begegnet uns ein vielschichtiges Phänomen, das einerseits durch Motive und Absichten und andererseits durch Konventionen geprägt ist.
Der Gestusbegriff schafft eine Möglichkeit, einzelne Handlungen aus dem Gesamtverhalten zu isolieren und sie gegeneinanderzustellen. Der Gestus setzt sich aus gestischen und mimischen sowie sprachlichen und stimmlichen Komponenten zusammen und ist immer Ausdruck des gesamten Körpers, der eine Haltung zu anderen einnimmt. Haltungen sind verkörperte Denkprozesse, auch wenn der Begriff in seinem Wortstamm auf etwas Statisches hinzuweisen scheint. Halte aus, halte ein, halte ab, halte auf, halte an … Das klingt nach einer Unterbrechung im Handeln, die uns zu einer neuen Haltung führen kann. Die Geste als Muster koordinierter Bewegungen gehört zum Gestus. Die Geste kann etwas zeigen oder auf etwas...