Theater der Zeit

Vorwort

von Thomas Flierl

Erschienen in: Andreas Homoki – Ein Jahrzehnt Musiktheater an der Komischen Oper Berlin (05/2012)

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Dieses Buch handelt von einem beeindruckenden Kapitel Berliner Operngeschichte. Zehn Jahre lang bestimmte Andreas Homoki als Chefregisseur und Intendant das Musiktheater an der Komischen Oper Berlin. Nun geht er als Intendant an das Opernhaus Zürich.

Andreas Homoki hat die Geschichte der Komischen Oper Berlin fortgeschrieben – indem er das Verständnis von Musiktheater mit eigenen Arbeiten emphatisch neu interpretierte. Mit seinem Chefdramaturgen Werner Hintze entwickelte er intelligente und berührende Inszenierungen, mit seinen Operndirektoren Per Boye Hansen und Philip Bröking setzte er konsequent auf die Entwicklung des Ensembles. Er vermochte herausragende Dirigenten zu verpflichten, die dem Orchester Raum zur Entfaltung gaben und exzellenten musikalischen Standard sicherten. Klug scharte er einen Kreis von Regisseuren um sich, die ein breites Spektrum theatralischer Möglichkeiten absteckten, ohne den programmatischen Fokus der Komischen Oper aus dem Blick zu verlieren. Mit Verve setzte sich Homoki für Neuerungen ein, sei es das neue Corporate Design des Hauses, die neue Bestuhlung mit integrierter mehrsprachiger Untertitelung oder die Jugendprojekte. Kritisch-konstruktiv begleitete er die Gründung und Entwicklung der Stiftung Oper in Berlin. Mit Ausdauer kämpfte er für ein zukünftiges Bauprojekt zur Sanierung der Oper, das tatsächlich den Bedürfnissen der Oper selbst entspricht. Seine wichtigste Vertraute in der zweiten Hälfte seiner Intendanz wurde die geschäftsführende Direktorin Susanne Moser, mit der er alle strategischen – finanzielle und künstlerische – Fragen beriet. Dieses Abwägen zwischen der Orientierung auf die Oper als einem kollektiven Produzieren, das uneingeschränktes Vertrauen in die Mitverantwortung aller verlangt, und dem Administrieren vorgegebener Budgetkürzungen, das unvermeidlich künstlerische Einschnitte mit sich bringt, war und bleibt ein konfliktreiches Spannungsfeld. Das haben über die Jahre auch Andreas Homoki und sein Ensemble miteinander erfahren.

Andreas Homoki verkörpert jenen Künstler-Intendanten, wie er in Deutschland eigentlich lange Zeit üblich war – denken wir an das Vorspiel auf dem Theater in »Faust«. Erst später kam es zur Trennung im deutschen Theater, das noch vor kurzem strikt zwei Arten von Intendanten, den regieführenden und jenen, der nicht selbst inszeniert, unterschied. Der erste ist notwendig ein Künstler, der zweite ist es im günstigsten Fall. Obgleich die Theater in Deutschland zumeist von einer Doppelspitze aus Künstler und Geschäftsführer geleitet werden, hatte sich in den 1990er Jahren vor allem in der Politik die Meinung verbreitet, Theaterintendanten müssten Manager und sollten keineswegs selbst Künstler sein. Grundlage dieser Abneigung waren sowohl die Dominanz betriebswirtschaftlichen Denkens wie das damals verbreitete Unbehagen am sogenannten Regietheater, das gleichermaßen als ästhetische Zumutung wie als wirtschaftliches Risiko erschien.

Als ich als Berliner Kultursenator 2002 Andreas Homoki zum neuen Intendanten der Komischen Oper Berlin berief, enttäuschte ich nicht nur diese Hoffnung auf einen Manager an der Spitze. Ich löste die Konstellation von Intendant und Chefregisseur auf, die lange Zeit, zuletzt in den Jahren 1994 bis 2002 mit Albert Kost und Harry Kupfer, bestanden hatte. Zunächst folgte Andreas Homoki noch Harry Kupfer als Chefregisseur der Komischen Oper Berlin nach. Als aber zugleich 2002 die neue Berliner Landesregierung nach dem Krach der Landesbank den Haushaltsnotstand ausrufen musste, brach auch wieder die Debatte auf, ob Berlin tatsächlich drei Opernhäuser benötige. Nur wenige Jahre zuvor waren das Schiller Theater und das Metropol-Theater geschlossen worden, wie könne man jetzt an drei Opernhäusern festhalten? Da bereits mein Amtsvorgänger Christoph Stölzl mit seinem Plan zur Fusion von Staatsoper und Deutscher Oper gescheitert war, konzentrierten sich nun die Restrukturierungsphantasien der Politiker und manch anderer Platzhirsche auf die Schließung der Deutschen Oper oder auf den Anschluss der Komischen Oper an die Staats oper. Beide Szenarien konnten schließlich 2004 mit der Errichtung der Stiftung Oper in Berlin abgewendet werden.

Meiner Entscheidung für Andreas Homoki als neuem Intendanten lag die Überzeugung zugrunde, dass die Komische Oper Berlin nur mit einer Künstler-Persönlichkeit an der Spitze ihre Position im Berliner Opernleben werde behaupten können. Und sie gründete im Vertrauen auf die ästhetische Kraft Homokis als Opernregisseur. Die vielfachen Auszeichnungen der Komischen Oper Berlin, ihre unbestrittene Position unter den europäischen Opernhäusern (und also auch in Berlin) und schließlich die Berufung von Andreas Homoki nach Zürich belegen die Richtigkeit dieser Annahme. Aber viel wichtiger: Von aller Opernpolitik bleibt nur, wie viel gelungene Oper sie ermöglichte, bleibt nur die Kunst selber. Und da im Theater das Kunstwerk mit dem Ende der einzelnen Aufführung vergangen ist, bleibt nur die Erinnerung an sie.

Mit diesem Buch blicken wir zurück auf zehn Jahre Musiktheater an der Komischen Oper Berlin unter Andreas Homoki. Nach der Eröffnung mit einer Bildstrecke, die uns durch das Haus führt, steht der Regisseur und Intendant Andreas Homoki im Mittelpunkt des ersten Teils. Jürgen Otten schreibt über den Opernregisseur Andreas Homoki. Eine Dokumentation der Inszenierungen Homokis gibt einen Eindruck der prägenden Kraft seiner Kunst. Er selbst fügte dem Buch einen Text zur Oper für Kinder und Jugendliche bei. In einem zweiten Teil werden die wichtigsten Regisseure, die in diesen Jahren an der Komischen Oper Berlin tätig waren und markante ästhetische Positionen absteckten, mit ihren Arbeiten vorgestellt. Die Inszenierungen Homokis und seiner Regiegäste werden jeweils durch Szenenfotos und mit Texten aus den Programmheften vergegenwärtigt. In einem dritten Teil porträtiert Malte Krasting die drei Chefdirigenten und Frederik Hanssen beleuchtet die Entwicklung des hauseigenen Solistenensembles. Mit dem Gespräch »Auf der Brücke«, das Claus Spahn mit Andreas Homoki und dessen Nachfolger Barrie Kosky aus Anlass des Intendantenwechsels führte, wird der vierte Teil des Buches eingeleitet. Alban Nikolai Herbst reflektiert über »Rausch und Erkenntnis« und den Stellenwert des Musiktheaters der Komischen Oper Berlin als einem notwendigen Organ kollektiver Selbsterkenntnis. Mein Beitrag rekapituliert die nun 120-jährige Baugeschichte der Komischen Oper und ihren hoffentlich positiven Ausgang. Im Anhang findet sich eine Chronik der vom Regisseur und Intendanten Homoki verantworteten Inszenierungen der Komischen Oper Berlin.

Der Herausgeber bedankt sich bei den Sponsoren, die sich großzügig an der Finanzierung des Buches beteiligt haben: beim Förderkreis Freunde der Komischen Oper Berlin e.V., bei Prof. Dr. Dieter Feddersen, Werner Gegenbauer, Dr. med. Inge Groth-Fromm, megabiz riesenposter – Andrej Tatic, Marleen und Dr. Gernot Moegelin sowie Maren und Ulrich Schellenberg. Mein Dank gilt darüber hinaus allen Beteiligten, insbesondere den Fotografen und Autoren. Intensive Unterstützung erhielten wir von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilungen Dramaturgie bzw. Kommunikation der Komischen Oper Berlin sowie von deren Technischem Direktor Dietmar Wolf.

Die unmittelbar an der Erarbeitung Beteiligten, Chefdramaturg Werner Hintze, die Lektorin des Verlages Theater der Zeit Nicole Gronemeyer, die Gestalterin Sibyll Wahrig und ich als Herausgeber, hoffen, dass sich unser enthusiastischer Nachvollzug einer so produktiven Musiktheater-Geschichte auch dem Buch mitgeteilt hat und so die Leserinnen und Leser erreicht. Andreas Homoki, der das Projekt von Anfang an unterstützte, fand jedenfalls zunehmend Gefallen daran. Möge ihn das Buch auf dem Weg nach Zürich beflügeln.

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