Von der Einheit der Institution zur Differenz der Formate
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 99: Wozu Theater? (01/2013)
Das Theater als Einmalerfindung
In menschlichen Gesellschaften ist das Theater eine Institution. Man hat immer schon Theater gespielt, angefangen bei den Tänzen und Maskenspielen der Stammesgesellschaften über die Mysterien, Komödien und Tragödien der Antike, die Passionsspiele des Mittelalters, die Puppen- und Schattenspiele verschiedener Hochkulturen und die Dramen und Lustspiele der Moderne bis zu den aktuellen Formen des Multimediatheaters der Gegenwart: Man wird vermutlich auch weiterhin Theater spielen, und sei es nur, weil es kaum eine geeignetere Form gibt, die Tücken der menschlichen Kommunikation, die Täuschungsanfälligkeit des menschlichen Umgangs miteinander, zu erkunden.1 Das Theater ist die Form schlechthin, um der Beobachtung des Menschen durch den Menschen selbst eine Form zu geben und so die Beobachtung zweiter Ordnung in die Gesellschaft wieder einzuführen und dort auf ihre Verführung und Ansteckung, ihre Risiken und Gefahren hin – zu beobachten. Eine der mächtigsten Theatertheorien überhaupt, die Theorie René Girards, sieht deshalb im Theater eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass die Dynamik einer rivalisierenden Imitation, die jede Gesellschaft heimzusuchen droht, überhaupt erkannt und einigermaßen gebändigt werden konnte.2
Wie die menschliche Gesellschaft selber, aber auch wie die Welt, das Leben, der Mensch oder das Bewusstsein, ist das Theater eine Einmalerfindung. Das macht es schwer,...