3. Die Stunde der Exzentriker
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Authentizität! – Von Exzentrikern, Dealern und Spielverderbern (03/2017)
Der hartherzige Geist des neuen Weltwollens wurde veredelt, bekränzt, blitzte jedoch immer wieder herrschsüchtig hervor, und das trieb Nonkonformisten in die ästhetische Häresie. Ihr Feindbild schlechthin war die Figur des rechenhaften Moralisten, wie ihn Benjamin Franklin unnachahmlich verkörperte, die Franklinisierung des Selbst.
Wie bekannt, unterwarf sich Franklin, darin prototypisch für eine ganze Ära, freiwillig einer methodischen Lebensführung, die in einem peniblen Tugendregister gipfelte. In Form einer Tabelle angelegt, versah er Woche für Woche kleinere oder größere Vergehen gegen die Gebote der Mäßigkeit, Sparsamkeit, Reinlichkeit etc. mit einem Kreuz. Häuften sich die Kreuze, war das gleichbedeutend mit der Aufforderung, die Arbeit an sich selbst zu intensivieren, nahmen sie ab, verlagerte sich die moralische Beunruhigung nur auf eine andere Ebene: Vielleicht war das beobachtende Selbst mit dem handelnden nur zu nachsichtig verfahren.20 Dann war verstärkte Wachsamkeit gefordert, lückenlose Selbstkontrolle, ein gnadenloses Regiment.
Was immer sich über diesen Typus noch sagen ließe – ein Genießer war er nicht. Sein Daseinsrecht floss unmittelbar aus seiner historischen Mission, der Produktion um der Produktion halber; das formte den kollektiven Habitus. Werkbesessenheit, schnörkelloser Lebensstil, Rechnungslegung über Vollbrachtes und Versäumtes; Sinnesfreuden, demonstrativer Konsum, gar Prachtentfaltung signalisierten moralische Verderbnis. Die Franklinisierung des Selbst, weit davon entfernt, eine Schrulle...