Theater der Zeit

Auftritt

Konstanz: Vom Wegfallen

Theater Konstanz: „Mumien. Ein Heimspiel“ (UA) von Mehdi Moradpour. Regie Andreas Bauer, Ausstattung Christian Pölzler

von Bodo Blitz

Erschienen in: Theater der Zeit: Isabelle Huppert: Exklusiv im Gespräch (06/2016)

Assoziationen: Theater Konstanz

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Weggefallen aus dem Dasein: Mamal ist verschwunden. Fünf Menschen, die mit Mamal zu tun hatten, bilden das Beziehungsgeflecht des Dramas. Ihre Spurensuche führt an die Ränder der kaum greifbaren Existenz Mamals, berühren dabei Themen wie Flucht, Gewalt, Heimatlosigkeit, Asyl, Vereinzelung, Abhängigkeit.

Mehdi Moradpour gestaltet in „Mumien. Ein Heimspiel“ existenzielle Recherchen. Es verwundert nicht, dass der Autor mit diesem Stück den letztjährigen, dritten Autorenwettbewerb der Theater Konstanz und St. Gallen gewann: Moradpours Sprache ist musikalisch und poetisch, lyrisch und hermetisch, ein lockendes Geheimnis. Rätselhaftigkeit ist dem Text eingeschrieben und bildet eine funktionale Brücke zum Inhalt: Wo ist Mamal?

Die Konstanzer Uraufführung nimmt auf kluge Weise die Bildlichkeit ernst, mit der Moradpours Figuren über ihre suchenden Worte Mamals Existenz sezieren, ja präparieren. Glaskästen, die sich verschieben lassen, die für eine museale Ausstellung arrangiert werden können. Am Anfang einzeln gereiht, am Ende kreisförmig aneinandergeschoben, immer geprägt von Isolation. Diese Metapher der Ausstattung trägt. Sie versinnbildlicht von Anfang an, wie sehr das Sichtbare einer Existenz dessen Kern verbirgt. Es ist letztlich zweitrangig, ob die Schauspieler in den Glaskästen entweder zum Standbild erstarrt oder in Bewegung agieren – hinter die äußere Fassade werden wir Zuschauer nicht blicken. Das Spiel von Abwesenheit und Anwesenheit erhält eine klare Form.

Virtualität bleibt der Suchbewegung des Stückes schon deshalb eingeschrieben, weil das Rätsel der Verflüchtigung Mamals bis zum Ende nicht geklärt wird. Lange Zeit trennt in der Konstanzer Inszenierung ein Gazevorhang die intime Bühne der Werkstatt vom Zuschauerraum, eine folgerichtige Verschleierung der Realität. Der Vorhang betont die Künstlichkeit und dient eingangs als Projektionsfläche für punktuelle Bildschirmwelten im Fadenkreuz der Computerspiele. In Andreas Bauers Regie könnten Figuren und Handlung dem Kopfkino einer einzigen Figur entstammen: Bernhard Leute als „Spielleiter“ Pep eröffnet und beendet das Suchspiel nach Mamal als Arrangeur der gläsernen Ausstellungskästen. Bleibt es ein Computerspiel? Diese hochkomplexe Lesart potenziert die Ebene der Fiktion.

Trotz aller Virtualität: Moradpours sprachliche Verdichtung auch gewalttätiger Vorgänge auf bildhafte, symbolische Weise geht einher mit angedeuteten Handlungslinien im Stile eines Krimis. Das analytische Dramenprinzip einer Recherche im Nachhinein sorgt für sinnfällige Parallelen. Die biografischen Versatzstücke, die dabei zum Vorschein kommen, garantieren die nötige Ambivalenz Mamals, der Opfer und Täter zugleich zu sein scheint: Fluchthelfer aus der kriegerischen Heimat für Dud und Foltergehilfe des dortigen Regimes. Den sexuellen Erpressungen des Heimleiters Otto ausgesetzt und doch fähig, sexuelle Begehrlichkeiten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Dass jemand Interesse haben könnte, ihn verschwinden zu lassen, steigert die Spannung. Diesen angedeuteten Kriminalfall lässt Regisseur Andreas Bauer nicht links liegen, stellt ihn aber auch nicht ins Zentrum. Zum Glück, möchte man meinen, denn der zu dominante Kriminalfall unterliefe letztlich die tragenden Linien der Virtualität.

Was die Kunst des Agierens betrifft, müssen die Konstanzer Schauspieler gerade bei diesem Stück mehr verbergen als preisgeben: Das gelingt. Alina Vimbai Strähler als Viv treibt die Recherche voran und verfolgt dennoch eigene Begehrlichkeiten. Tomasz Robak als Dud spiegelt die Zwänge Mamals, wenn er selbst den Zudringlichkeiten des Heimleiters Otto ausgesetzt ist. Natalie Hünig als Ada scheint die Vertraute Mamals gewesen zu sein und verkörpert Macht und Leiden widersprechender Sehnsüchte. Einzig Jonas Pätzold als Otto darf eindeutiger agieren, die Obszönität von Machtmissbrauch lustvoll verkörpern. Und Saro Emirze als verschwundener Mamal? Bleibt stumm, beinahe körperlos. Weggefallen. //

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