Katharina Warda, als Soziologin beleuchten Sie in Ihrer Forschung blinde Flecken in der deutsch-deutschen Geschichtsschreibung. Im vergangenen Jahr haben Sie beispielsweise etliche bislang unerzählte Geschichten zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung beigetragen. Welche Erinnerungslücken haben Sie bisher gefunden?
In der deutschen Geschichte gibt es generell immense Gedächtnislücken. Gerade ostdeutsche Perspektiven fehlten sehr lange. Ich bin in den 1990er Jahren in Wernigerode aufgewachsen. Zu dieser Zeit existierte – vorrangig durch westdeutsche Narrative geprägt – eine karikative Idee des „Ostdeutschen“, der höchstens in Fernsehtalkshows als Witzfigur auftreten durfte. In diesem fragwürdigen Format wurde über den drolligen Dialekt gelacht, anstatt dass diese Person selbst zu Wort kommen konnte. In den letzten Jahren hat sich das zum Glück verändert.
Was bis heute aber nach wie vor fehlt, sind nichtweiße Perspektiven und Erzählungen. Wenn heute über den Osten gesprochen wird, hat man immer eine sehr homogene weiße Bevölkerung vor Augen – was allerdings nicht der Realität entspricht. Auch die DDR und schließlich der Osten selbst haben eine kontinuierliche wie auch alte Migrationsgeschichte – geprägt durch die deutsche Kolonialzeit. Zusätzlich gab es in der DDR den sozialistischen Internationalismus, auch dadurch entstand Migration.
In ganz Deutschland lebt bis heute eine bunte Bevölkerung. Allerdings wird öffentlich kaum reflektiert, dass...