Theater der Zeit

„An den Grenzen kann man den Charakter eines Gemeinwesens erkennen“

Karl Schlögel über Europas neue Grenzen. Gespräch am 24. Mai 2016

von Karl Schlögel und Jens Bisky

Erschienen in: Recherchen 124: Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt – Die Expertengespräche zu „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“ am Schauspiel Leipzig (10/2016)

Assoziationen: Wissenschaft

Susanne Rieper und Jens Bisky, Foto: Jana Nowak
Susanne Rieper und Jens BiskyFoto: Jana Nowak

Bisky: Karl Schlögel ist einer der wichtigsten deutschen Historiker. Wenn man sich für Städte interessiert, dann muss man Bücher von Karl Schlögel lesen. Er schafft es am besten, Städte zu lesen und sie anschaulich zu machen. Das hat er schon in den 1980er Jahren getan mit einem Buch Moskau lesen, er hat über Petersburg als Labor der Moderne geschrieben, über die russischen Emigranten in Berlin und mit Terror und Traum über das Jahr 1937 in Moskau.

Daneben hat Karl Schlögel immer wieder versucht zu beschreiben, was in diesem seltsamen Europa passiert, nachdem die Mauer gefallen ist. Und was heißt das eigentlich: Europa? Karl Schlögel sagt, wenn man Europa verstehen will, dann muss man an die Busbahnhöfe gehen und schauen, wer fährt dort wohin. Da muss man sich die Märkte anschauen, die in grenznahen Regionen entstehen, und die Fahrpläne der Billigfluglinien. Da entsteht Europa sozusagen, dort haben wir eine Europäisierung von unten. Und ausführlich beschäftigt hat er sich damit, welche Rolle der Raum für Geschichte spielt. Im Raume lesen wir die Zeit heißt ein großes Buch von ihm. Heute wollen wir aber über Migration und Wanderung reden und über Grenzen. Es ist dazu von ihm ein Buch erschienen, Planet der...

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