Das Tätigkeitsprinzip als theaterwissenschaftliche Kategorie
von Erhard Ertel
Erschienen in: Recherchen 114: Fiebach – Theater. Wissen. Machen. (06/2014)
Die akademische Aufgabe im sogenannten Zeitalter der digitalen Revolution sollte lauten: Mehr alte Bücher lesen als neue schreiben. Diese digitale Revolution, ein zweifellos enormer technologischer Fortschritt, erscheint aber nur auf der Grundlage technischer Unkenntnis als revolutionär, und dies in mythischer Verklärung. Tatsächlich ist sie nicht mehr als die Darstellung alter Informationen in neuer Gestalt. Ein Phänomen, das auch in der im akademischen Betrieb inflationär gewordenen Textproduktion nicht zu übersehen ist. Verkomplizierung einfacher Sachverhalte hinter fachsprachlichen Masken, artifiziell konstruierte und hyperdetaillierte Fragestellungen, der Aufbau endloser deduktiver Konstruktionen – all das artikuliert sich in zahllosen Tagungsprogrammen, die sich wie Geheimdossiers lesen, in den Augen der Theaterpraxis als Unsinn erscheinen und in kabarettistischer Lesung Unterhaltung garantieren.
Ein Blick in die jüngere Geschichte legt die Vermutung nahe, dass das 20. Jahrhundert ein besonderes gewesen ist. Auch für akademische Entwicklungen könnte es auf längere Zeit einer der wesentlichsten Orientierungspunkte werden. Dies scheint vor allem den außergewöhnlichen gesellschaftlichen Veränderungen geschuldet, die das 20. Jahrhundert auszeichnen. Neben den eindrucksvollen Umbrüchen in wissenschaftlicher, technologischer, ökonomischer und politischer Hinsicht gilt das natürlich auch für die damit eng verbundenen kulturellen und künstlerischen Umbrüche und deren theoretische Reflexionen. Nicht zuletzt die kulturell-künstlerischen Phänomene, die von der Theaterwissenschaft reflektiert werden, sind davon...