Slavoj Žižek – Der Einbruch des Realen ist nicht realistisch
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lob des Realismus (05/2015)
Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus, 2014
„Der Topos des ‚Tods des Subjekts‘, der Zerstreuung des Subjekts in ein Pandämonium konfligierender und fragmentierter Erzähllinien wird üblicherweise als Folge elitärer künstlerischer Betrachtungen und als losgelöst von den realen Problemen realer Menschen gesehen […].
Was die Literatur angeht, so hatte James Joyce noch die Literaturwissenschaftler zukünftiger Generationen als sein Idealpublikum vor Augen, als er erklärte, er habe ‚Finnegans Wake‘ geschrieben, um sie für die nächsten 400 Jahre zu beschäftigen. Nach dem Holocaust müssen wir, die Lesenden und Schreibenden, einsehen, dass wir allein sind und auf eigenes Risiko, ohne Garantie durch den großen Anderen lesen und schreiben. (Beckett war es, der bei seinem Bruch mit Joyce zu diesem Schluss kam.) […]
Gleiches gilt für die zeitgenössische Kunst, wo wir oft brutalen Versuchen einer ‚Rückkehr zum Realen‘ begegnen, die den Betrachter (oder Leser) daran erinnern sollen, dass er eine Fiktion erlebt, um ihn aus seinen süßen Träumen aufzuwecken. Die Geste hat zwei Erscheinungsformen, die zwar gegensätzlich sind, aber auf dasselbe hinauslaufen. In der Literatur oder im Film gibt es (besonders in postmodernen Texten) selbstreflexive Hinweise, die uns daran erinnern, dass das, was wir gerade betrachten, eine bloße Fiktion ist, wenn...