In den neunziger Jahren konnte man sich am Theater der Bluträusche nicht erwehren. Die veranschaulichte Drastik gemarterter Körper kannte kaum Grenzen. Der Schock dargestellter Gewalt hat heute, da uns Netflix und das Internet mit übersteigerter Realität zuballern, verschwindenden Wert. Fließt auf der Bühne noch Blut – etwa aus vollen Rohren in Christopher Rüpings „Hamlet“ an den Münchner Kammerspielen –, so tut es das konzeptuell. Blut wirkt als Argument am Theater inzwischen also eher rührend. Selbst für das Verderben bringende Umfeld des römischen Heerführers Titus Andronicus bleibt die nüchterne, „trockene“ Verwaltung der Schandtaten, wie sie Regisseur und Schauspielleiter Stephan Suschke am Landestheater Linz vornimmt, ein überzeugenderer inszenatorischer Zugriff. Im Fall abgehackter Hände werden hier rote, wollene Armstümpfe behutsam, ein wenig in Zeitlupe, aus dem eisernen Harnisch gezogen. Sollten aber doch ein paar Tropfen den glatt glänzend ausgekleideten Bühnenboden benetzen, so kommt umgehend der Wischmopp zum Einsatz. Indessen schimmert hinten ein Goldlametta-Vorhang.
Nicht das Shakespeare-Drama hat Suschke in Angriff genommen, sondern den „Shakespearekommentar“ seines einstigen Lehrmeisters und Chefs Heiner Müller, dem er nach dessen Tod 1995 sogar für kurze Zeit als künstlerischer Leiter des Berliner Ensembles nachgefolgt war: „Anatomie Titus Fall of Rome“, uraufgeführt von Manfred Karge und Matthias Langhoff 1985 in...