Theater der Zeit

Auftritt

Theater der Stadt Aalen: Blutbad im Smoothie-Mixer

Colin Higgins: „Harold and Maude“ – Regie Julius Max Ferstl, Ausstattung Christian Horn

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Theater der Stadt Aalen

Kai Götting und Verena Buss in „Harold und Maude“ am Schloss Wasseralfingen, Regie Julius Max Ferstl. Foto Peter Schlipf
Kai Götting und Verena Buss in „Harold und Maude“ am Schloss Wasseralfingen, Regie Julius Max FerstFoto: Peter Schlipf

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Kurz vor ihrem 80. Geburtstag erlebt die unwürdige Greisin Mathilda Chardin, genannt Maude, einen zweiten Frühling. Mit knallroten Luftballons stürmt sie in ein neues Leben. Dabei hilft ihr ausgerechnet der psychisch labile Teenager Harold, der sich von einem inszenierten Suizid zum nächsten hangelt. Dieses ernste Thema fröhlich und leicht auf die Bühne zu bringen, das ist ein schmaler Grat. Hal Ashby hat die Schwarze Komödie 1971 verfilmt und damit Generationen begeistert. Ferstl, der die Jugendsparte des Theaters der Stadt Aalen leitet, gelingt das Kunststück. Lachen und Schrecken balanciert der junge Regisseur beim Freilichtspektakel im Schloss Wasseralfingen wunderschön aus.

Das liegt nicht zuletzt an der Besetzung. Verena Buss spielt die Seniorin, die vor ihrem 80. Geburtstag den Boden unter den Füßen verliert. Tiefe und Witz liegen bei der Altmeisterin nah beieinander. Die größte Leidenschaft ihrer aufmüpfigen Seniorin ist es, fremde Beerdigungen zu besuchen. Zwischendrin klaut sie der Pastorin das Auto oder hält die Polizei in Atem. Klug und schön zeichnet die virtuose Schauspielerin das Bild einer alten Frau, die ihren Unruhestand feiert. Dass sie sich dennoch aufs Sterben vorbereitet, ist für Buss kein Widerspruch. Ihre Augen lachen, wenn sie vom Tod spricht. Als ihr der schrullige Harold einen Heiratsantrag macht, überwältigt sie die Kraft der Gefühle. Da blitzt für Augenblicke das Mädchen in ihr durch, das von seinen Schmetterlingen im Bauch überwältigt wird.

Kai Götting fühlt sich in der Rolle des 18-Jährigen sichtlich wohl, der es liebt, seine Mutter und damit die ganze Umwelt zu schocken. Potenzielle Heiratskandidatinnen schlägt er beim ersten Date in die Flucht. „Magst Du einen Smoothie?“, fragt der junge Mann mit dem blonden Haar. Als das Mädchen hoffnungsvoll „Ja“ sagt, inszeniert er ein Blutbad im Mixer. Dennoch geht auch Götting in die Tiefe. Stark zeigt er, dass es die Übermutter ist, die ihn in die psychische Krankheit treibt. Ausgerechnet die 79-jährige Maude bringt ihn wieder zum Lachen. Die Kunst der Schwarzen Komödie beherrscht dieses Duo grandios. Solche Schauspielkunst macht das Sommertheater zum Erlebnis.

Bei den Nebenrollen setzt Ferstl mit dem Ensemble auf pralle Komödienkunst. Die Mutter (Margarete Lamprecht) entspricht ganz dem Klischee der reichen Glucke, die ihr Söhnchen nicht aus den Klauen lassen kann. Harolds Liebesglück plant die dominante Frau ebenso wie seine Karriere. Dabei kehrt Lamprecht die subtile Gewalt ihrer Figur stark nach außen. Zugleich betrachtet sie die Diva mit feiner Ironie. Christian Horn hat für sie großartige Kostüme geschaffen. Riesige Ärmel mit Goldmuster und elegante Schnitte spiegeln ihre Geltungssucht. Trotz knapper Etats bei der Ausstattung hat Horn den Hof der Schlossschule in Wasseralfingen optimal genutzt. Maudes Haus, in dem die Zeit stehengeblieben ist, erweckt er mit Lampenschirmen aus den 1950er-Jahren zum Leben. Leicht lassen sich die Räume mit dem grauen, pink umrandeten Spielgerüst mit Höhen und Senkungen trennen, das im Zentrum der Bretterbühne steht. Durch die klar getrennten Ebenen beweist der Bühnenbildner ein gutes Gespür für Spielsituationen. Wie hinter Zäunen belauern die Akteure einander. Als Pastorin hält Larissa Wagenhals der unehrlichen Gesellschaft einen Spiegel vor. Das gelingt der Schauspielerin mit hintergründigem Humor. Als Therapeut zeigt Philipp Dürschmied die Hohlheit der Menschen, für die nichts als ihr gesellschaftliches Standing zählt.

Cat Stevens’ Musik hat 1971 wesentlich dazu beigetragen, dass „Harold and Maude“ zum Kultfilm wurde. Der Hit „If you want to sing out, sing out“ läuft zwar bis heute im Radio. Etwas nostalgisch klingt das aus heutiger Sicht aber schon. Die Band Hackberry überwindet diesen Zeitsprung und hat die Oldies teilweise neu arrangiert. Mit seinem jungen, frischen Blick holt Regisseur Julius Max Ferstl den Stoff in die heutige Zeit. Als Vorläufer der heutigen Grufties steht Harold für eine No-Future-Generation, die von den Erwachsenen in die Hoffnungslosigkeit getrieben wird. Dass es ausgerechnet eine fast 80-Jährige ist, die ihm den Glauben an die Zukunft wiedergibt, ist eine schöne und positive Botschaft – damals wie heute.

Erschienen am 12.7.2024

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