Theater der Zeit

Wenn ich möchte, dass ein Schauspieler weint, geb’ ich ihm eine Zwiebel

Über die Arbeit mit dem Schauspieler

von Heiner Goebbels

Erschienen in: Recherchen 96: Ästhetik der Abwesenheit – Texte zum Theater (08/2012)

Es gibt einen Augenblick in der Musiktheaterarbeit Eraritjaritjaka, in dem wir den französischen Schauspieler André Wilms eine Zeile aus den Aufzeichnungen Canettis sagen hören, und wir sind tief bewegt, weil sich der Schauspieler dabei zu ersterbender Musik eines Streichquartetts eine Träne aus den Augen wischt: „So sprechen, als wäre es der letzte Satz, der einem erlaubt wäre.“1 Wir sind bewegt, obwohl er den Satz nicht mit viel Innerlichkeit hervorbringt – denn gleichzeitig ist er damit beschäftigt, ein Rührei vorzubereiten: Er würzt die bereits schaumig geschlagenen Eier mit Pfeffer und Salz, schneidet mit der Schere etwas Schnittlauch in die Glasschüssel, lässt in der Pfanne die Butter schmelzen und schält nun eine Zwiebel. Ist sie es, die ihm die Tränen in die Augen treibt? Ist es das Rührei, das uns rührt?

Aber mit der Zwiebel ist es längst nicht getan: Es ist der Rhythmus des Streichquartetts, in dem der Schauspieler die Zwiebel klein schneidet; alle Bewegungen und Vorgänge und Texte dieser ca. 35 Minuten langen Sequenz sind durch die Musik definiert (wie auch alle Kameraeinstellungen, die diese Bilder live einfangen und auf die Bühnenrückwand projizieren). Wann er die Ärmel der Strickjacke hochstreift, wie er den Brieföffner zur Musik ansetzt, die...

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