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Erschienen in: Letzter Vorhang (05/2017)
Bekanntlich zählte es zu den Verdiensten des Liebknecht, der von Theaterleuten seit Jahren in Interviews und Feuilleton-artikeln beschworenen Sehnsucht nach dem wirklichen Leben und nach der Vermischung von Fiktion und Realität in experimentellen Kunstformaten Ausdruck verliehen zu haben. Diese hatten sich in diversen Wellen über die Bühnenlandschaft ausgebreitet.
Naturgemäß stellten wir keine Urheberansprüche und werteten den Einfluss unserer Theaterformen auf andere Künstler als ein Zeichen für den wachsenden Erfolg der kulturrevolutionären Praxis. Historiker haben mittlerweile die ästhetischen Verbindungen zu den Sechzigern hergestellt, zum Beispiel zu Handkes Publikumsbeschimpfung oder den damals populären Happenings. Das Liebknecht verstand sich als ein Open Space für exzentrische Ideen und Praktiken darstellender Kunst, die ohnehin gerade im Schwange waren.
Daher gab es im Liebknecht und schließlich auch anderswo bald keine Bühnenbilder mehr, die nicht kräftige Anleihen bei verlassenen Bahnhofssälen, Arbeitsämtern, Sozialwohnungen oder Sporthallen machten. Haustiere gehörten ebenso zur Besetzung wie kleinwüchsige Zwillinge oder ihr Gewerbe ausübende Prostituierte.
Das Bedürfnis nach mehr Wirklichkeit im Theater wurde indes allmählich durch einen Gegenimpuls aufgeladen: dem Bedürfnis nach mehr Theater in der Wirklichkeit. Und auch auf diesem Sektor hatte das Liebknecht maßgebliche Verdienste. Etwa in der Bespielung von locations wie verlassenen Bahnhofssälen, Sozialwohnungen und Sporthallen.
Theatralische Wanderungen durch unbewohnte Gebäude...