1 Problemstellung
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
Text kann als Vehikel verstanden werden, mit dem Bedeutungen vermittelt werden, und zugleich als Instanz gelten, die sich gegen eine beliebige Auslegung verwehrt. Text kann als sprachliches Kunstwerk erscheinen oder als Steinbruch sprachlichen Materials dienen. Text kann der Ausgangspunkt eines Probenprozess oder dessen Ergebnis sein. (Weiler/Roselt 2017, 215 f.)
Der Text erweist sich im zeitgenössischen Theater als vielgestaltiges Phänomen. Allein die Textgrundlagen der drei untersuchten Probenprozesse sind vielfältig. Ob dramatischer Text, Lyrik, Lehrstück oder sprachliches Material durch Recherchen und Interviews – das zeitgenössische Theater bindet sich nicht mehr ausschließlich an die Gattung des Dramas. Historisch betrachtet, geht die Entwicklung der darstellenden Künste vorrangig von den unterschiedlichen dramatischen Texten aus, die eine bestimmte Aufführungspraxis erfordern bzw. die Dramatikerinnen und Dramatiker für eine bestehende Aufführungspraxis schreiben (vgl. Stegemann 2011, 102). Dabei galt die Aufführung des Dramas lange Zeit „als Übermittlung von Bedeutungen, die der Text generiert, und in diesem Sinne als Verwirklichung einer bestimmten Lesart des Textes“ (Fischer-Lichte 2005a, 239). Die im Text vorgegebenen Bedeutungen sollten durch die Aufführung zum Ausdruck gebracht und übermittelt werden. Der Text steuerte den Prozess der Inszenierung (vgl. ebd.).
Das postdramatische Theater sowie der Einzug des Performativen ins Theater setzen diese Vorstellungen außer Kraft. Hier existiert mitunter...