2. Sprechweisen
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Kritik des Theaters (04/2013)
Neben allen Körper- und Spieltechniken ist die Entwicklung der Stimme und des Artikulationsvermögens wesentlich für die Arbeit des Schauspielens. Die Sprechweise ist wie die Spielweise keine Folge von körperlichen Übungen, sondern vereinigt in sich ästhetische, weltanschauliche und handwerkliche Implikationen. Im Sprechen berühren sich in jedem Moment die Unverfügbarkeiten des Körpers mit den erlernten Techniken der Artikulation und der Sinndimension des Gesprochenen. Die Trias aus Natur, Kultur und Sinn macht das Sprechen zur dominanten Ausdrucksform menschlichen Miteinanders und damit zum wesentlichen Darstellungsmittel des Theaters. Im Gegenwartstheater lassen sich in einer möglichen Systematisierung vier unterscheidbare Sprechweisen wiederfinden: Das Hervorrufen einer neuen Realität als Kennzeichen des narrativen Theaters, das sprechende Handeln als Kennzeichen des realistischen Theaters, die Formalisierungen des Sprechens und das moderierende Sprechen als Kennzeichen postmoderner Sprechweise.
Das Sprechen als Hervorrufen einer abwesenden Realität ist die häufigste Form im Theater der frühen Neuzeit: »Stell dir vor!«, »Es war einmal …«, »Wir sehen dort Macbeth kommen.« Die performative Kraft, ein Abwesendes als Anwesendes zu evozieren, ist unendlich. Die gesprochenen Bühnenbilder im elisabethanischen Theater nutzen diese Kraft des Sprechens ebenso wie das Erzähltheater der Gegenwart. Eine Person beschreibt eine Welt und lässt diese durch die Beschreibung in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Hierfür benötigt...