Das Problem
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Wendungen: Die andere Wahrheit (09/2021)
Die Unterscheidung von Selbst- und Fremdinteresse ist eine zulässige, sinnvolle, sachlich gebotene Unterscheidung. Gesellschaftliche Individuen bleiben wesensmäßig voneinander getrennt, auch wenn sie miteinander verbunden sind. Der Andere existiert unabhängig von mir, ist eine Realität für sich. Seine und meine Interessen können konvergieren, müssen das aber nicht. Darüber, wie es sich konkret verhält, liegt ein Schleier der Ungewissheit; zu unterstellen, dass dieser sich auf Anhieb in wechselseitiges Wohlgefallen auflöst, wäre unklug. Klarheit bringt erst der Praxistest, wiederholte Interaktion. Die dabei gesammelten Erfahrungen entscheiden über Abbruch oder Fortsetzung derselben.
Agiert der Andere als Teil einer funktionellen Einheit, der Regelfall im ökonomischen Kontext, verkompliziert sich die Sache, weil nun zweierlei in Betracht zu ziehen ist: funktionelles und privates Fremdinteresse. Allgemein ist davon auszugehen, dass sich der Andere das funktionelle Interesse zu eigen macht und mir als sein eigenes präsentiert: „Das ist ein gutes Angebot, da würde ich auch zugreifen.“ Derart verleiht er der Interaktion von sich aus einen persönlichen Anstrich, der mich allerdings kaum darüber hinwegtäuschen wird, dass er als Funktionär agiert. Der Andere kann den ihm auferlegten Auftrag aber auch dadurch zu erreichen versuchen, dass er einen Interessenkonflikt zwischen sich als Person und der funktionellen Einheit inszeniert, für die er tätig ist....