Zirkusbauboom 2.0 – Zwischen Gestern und Morgen?
von Franziska Trapp
Erschienen in: Zirkuskunst in Berlin um 1900 – Einblicke in eine vergessene Praxis (02/2025)
Ich biege von der schmalen Landstraße, die sich über mehrere Kilometer an Höfen, dann an einem kleinen Dorfplatz vorbeigeschlängelt hat, nach links ab. Die Straße, umrahmt von Feldern, führt steil einen Hügel hinauf. An seiner Kuppe wird hinter der Ecole de Cirque de Marchin das hölzerne Halbrund des Cirque von Latitude 50 sichtbar. Die Entstehung dieses Gebäudes, das vom Architekturbüro Meunier-Westrade und von Stabilam gebaut wurde, durfte ich im Rahmen meiner Forschung in den letzten vier Jahren begleiten. Mein Interesse an Zirkusbauten stieß bei Freund:innen auf Verwunderung: „Zirkusarchitektur? – Du meinst die Gestaltung von Zelten?!“ Der Reaktion von Kolleg:innen, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, war ebenfalls Irritation abzulesen: „Zirkusneubauten?“ – diese scheinen im Kontext aktueller, teilweise kontroverser Diskussionen rund um anstehende Restaurierungen deutscher Theaterbauten sehr überraschend.
Denken wir heute an Zirkus, ist das Zelt gemeinhin Teil der gängigen Assoziationen. Entgegen dieser Vorstellung, die den Zirkus als nomadische Kunstform beschreibt, ist die Entwicklung des modernen Zirkus aber „vor allem mit einem Prozess der Sesshaftwerdung verbunden“ (vgl. Hildbrand 2023, S. xxviii). Zwischen 1820 und 1950 wurden in ganz Europa und darüber hinaus eine Vielzahl von statischen Zirkusgebäuden errichtet (vgl. Dupavillion 1982, Jacob 2002, Ward 2023). Es entstanden feste Spielstätten, die den...