5.2. In eine Nacht hinein, die furchtbar wird
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
So viel zu den in »King Lear« durchgespielten Zusammenhängen zwischen neuzeitlichem Planraum und Genealogie. Wie gesagt, gibt es in Shakespeares Stück aber auch eine deutliche Vorwegnahme des Leibniz’schen Monadenraumes, die sich durch den dritten und vierten Akt zieht und sich in den Szenen um »Dover« kristallisiert. Die Möglichkeiten monadischen Denkens erweisen sich hier – so die These, die ich im Weiteren verfolgen werde – als inhärenter Bestandteil der elisabethanischen Bühne, die der illusionistischen Bühne Indigo Jones’ konfrontiert wird. Tatsächlich hat schon in den achtziger Jahren der amerikanische Literaturwissenschaftler Jonathan Goldberg in einem bahnbrechenden Essay mit dem Titel »Perspectives: Dover Cliff and the Conditions of Represantation« den Wettstreit der Bühnenräume entlang der »Dover«-Stellen in »King Lear« beschrieben; doch nach wie vor stellen solche Ansätze in der Shakespeare-Forschung eher marginale Positionen dar. Es gilt also, Goldbergs Ansatz aufzugreifen und zu erweitern.77
Was hat es mit Dover auf sich? Zum erstenmal taucht der Ortsname in der ersten Szene des dritten Aktes auf. Kent bittet hier einen namenlosen Edelmann, nach Dover zu reiten, da Cordelia dort mit einem Heer aus Frankreich angelegt habe. Mit dem Namen Dover verknüpft sich also zunächst einmal die Verheißung auf eine mögliche Gegenkraft im schlechten bis katastrophalen Lauf der...