2 Assessment Center avant la lettre
von Florian Evers
Erschienen in: Recherchen 139: Theater der Selektion – Personalauswahl im Unternehmen als ernstes Spiel (11/2018)
Betrachtet man das Unternehmen als eine soziale Struktur, die – bis zu einem gewissen Grad wie eine Gemeinschaft – in sich geschlossen ein eigenes kulturelles Regelwerk mit eigener Sprachregelung und eigenem Habitus aufstellt – durch Wendungen und Konzepte wie Unternehmenskultur, Firmenphilosophie oder Corporate Identity bei weitem kein abwegiges Gedankenkonstrukt –, so steht am Ausgangspunkt eines Assessment Centers avant la lettre wie am Anfang aller performativer Kulturen das Übergangsritual, in diesem Fall die Initiation. Der theaterwissenschaftlichen wie ethnologischen Lesart der anthropologischen Forschung Victor Turners folgend, wird ein Individuum durch einen Ritus in die Gemeinschaft aufgenommen, der es zunächst in einen Zustand von Liminalität versetzt.30 Die im zweiten Kapitel dieser Studie weiter verfolgte, ästhetische Kategorie des Spiels vermag dabei eine Klammer um einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit zu setzen, in der ein eigenes Regelwerk gilt, während ein Stellvertreter der Gemeinschaft in machtvoller, gehobener Position, ein Vermittler zwischen den Welten – eine Art ‚Schamane‘, wenn man so will – die kulturellen, performativen Handlungen ausführt, um etwa einen Jugendlichen in die Gemeinschaft der Erwachsenen zu initiieren. Das Ritual ist damit zugleich selbstreferentiell als auch wirklichkeitskonstituierend – es hat nicht nur scheinbar oder im Spiel, sondern auch in der von allen in...