Mit vorgestrecktem Bauch unterm klein gemusterten Morgenmantel überblickt der „Reichskanzler“ sein hausfassadengroßes „Reich“, das mit rot-weißen Tatort-Absperrbändern zum Publikum hin gesichert ist. Auch wenn sein kurzsichtiger Blick angeblich „von der Maas bis an die Memel“ reicht, kann das Areal im Studio des Bamberger ETA Hoffmann Theaters von Kanzler Fürst Burkhard mit Tasse in der Hand und Fellschluppen an den Füßen locker abgeschritten werden, während seine Frau Jutta sich in der unsichtbaren Küche um hart werdende Brötchenhälften sorgt.
Mit „Der Reichskanzler von Atlantis“ hat Björn SC Deigner Kleinbürger-Engstirnigkeit mit rassistischen und Großmannssucht-Fantasien verschnitten, wofür dem 1983 geborenen Autor ja leider allerlei Realitätspartikel zur Verfügung stehen: Denn das sein Stück einrahmende völkische Eliten- und Erlösungsgeschwafel eines Rudolf von Sebottendorf, der um 1918 die Thule-Gesellschaft gründete, findet heute ja vielstimmigen Widerhall. Das braune Weltanschauungsmosaik von geschätzt um die 19 000 Reichsbürgern, die die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik leugnen, okkulte Riten und Verschwörungsfantasien, offen antisemitische Reden und Taten – all das hat Deigner in ein deutsches Biedermeierheim gepackt. Hier kann der Hausherr die arische „Vril“-Kraft aus den Haaren der Hausfrau aufnehmen, die diese ihrerseits direkt aus dem Kosmos bezieht. Dann hat er wieder genug Energie, um seinem „Reichsinnenminister“ erfundene Napoleon-Zitate zu diktieren oder Botschaften eines...