Sylvia Sasse, die russische Föderation steht vor einer Verfassungsreform. Angetrieben werden die Veränderungen von Wladimir Putin, der seit zwei Jahrzehnten die zentrale Person der russischen Politik ist. Wie kommt es dazu? Und welche Auswirkungen könnten die Reformen haben?
Es ist auf den ersten Blick nicht klar, was die Verfassungsreform bewirken soll. Während Putin in einer Rede den Vorrang der Verfassung betont hat, ist der konkrete Änderungsvorschlag das Gegenteil: Der Präsident wird gestärkt. Laut der Rechtswissenschaftlerin Caroline von Gall zielt die von Putin verkündete vermeintliche Stärkung der Verfassung darauf ab, die Verfassung „als Faktor der Regimelegitimation“ zu nutzen. Man fragt sich, inwiefern Putin versucht, auch nach 2024 an der Macht zu bleiben. Relevant wird die von Putin betonte Stärkung der Verfassung, weil ihr Vorrang vor dem Völkerrecht gegeben wird, wie das Verfassungsgericht bereits 2015 verdeutlichte. Dadurch wird die Europäische Menschenrechtskonvention in Russland irrelevant.
Der damals wenig bekannte Putin wurde Ende der turbulenten 1990er Jahre Präsident. Privatisierungen, Verelendung und gewaltsame Konflikte waren für viele Menschen prägende Erfahrungen dieser Zeit, wie es Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch „Secondhand-Zeit“ schildert. Gleichzeitig kamen die „neuen Russen“ auf, ein Netz von Oligarchen. Welche gesellschaftlichen Kräfte stützen bis heute den Aufstieg Putins?
Wie man die neunziger Jahre...