II
von Barrie Kosky
Erschienen in: On Ecstasy (02/2021)
Die Sinfonie muss wie die Welt sein.
Sie muss alles umfassen.
Gustav Mahler
56 Takte eines tiefen Streicherbrummens in der untersten Oktave. Auf einmal tut sich eine weiträumige Landschaft auf, voller Möglichkeiten, ohne Anfang oder Ende. Aus der Ferne tönen Blechbläserfanfaren über das Brummen, als riefe die Vergangenheit tapfer und trotzig von einem längst vergessenen Turm eines längst vergessenen Schlosses. Ein Kuckuck ruft, sticht mit seinem Ruf in die Luft. Eine schlangenartig sich windende chromatische Phrase der Streicher gleitet verführerisch und drohend durch die Landschaft. Und die ganze Zeit diese traurigen fallenden Quarten, einzelne Punkte im Panorama, wie seufzende Geister. Ich war 15, als ich Mahler zum ersten Mal hörte. Ich war in keiner Weise darauf vorbereitet. Was war das für eine Musik? Was waren das für Klänge? Und warum, warum nur hatte ich trotz der Merkwürdigkeit und Fremdartigkeit dieser Musik das Gefühl, sie schon einmal gehört zu haben? Irgendwo, irgendwie, in einem nur halb erinnerten Traum.
Wenn ich schon sprachlos angesichts des musikalischen Vokabulars des 1. Satzes der 1. Sinfonie von Mahler war, hätte mich nichts in der Welt auf die Klänge des 3. Satzes vorbereiten können. Bum bum. Bum bum. Der Trauermarsch zieht los. Bum bum....